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Big Game - das globale Raketenspiel

 
     
 
Es funktioniert immer wieder. Die geheimnisvolle Affinität zwischen Deutschen und Russen, die sich bis zu den großen Kriegen vor allem in der Dichtung niederschlug und danach in der Politik in neutralistischen Anwandlungen, greift auch im neuen Jahrtausend Platz. Diesmal in Form von Geld und vorauseilendem Verständnis.

Präsident Putin gelingt es, wie auch seinem Vorgänger Jelzin, die Deutschen zum Lautsprecher russischer Befürchtungen zu machen, insbesondere beim Thema Raketenabwehr-Pläne der Amerikaner. Fast alle Politiker von Rang, die im Kreml empfangen werden, geben mit tiefen Stirnfalten ihrer Sorge Ausdruck, daß man die russischen Ängste ernst nehmen müsse.

Darüber freuen sich die Russen, denn das erhöht den Preis und verschafft Zeitgewinn. Längst hat Moskau verstanden, daß die Amerikaner ihre Pläne durchziehen werden. Ungewiß ist, wieviel sie für russisches Stillhalten zu zahlen bereit sind und wie schnell sie zu Werke gehen. Und einen Keil zwischen Europa und Amerika zu treiben, das ist gute alte Kreml-Politik.

Es ist auch nicht verwunderlich, daß es vor allem deutsche Politiker sind, die sich zum Resonanzboden russischer Taktik umfunktionieren lassen. Mit den Briten verbindet die Russen herzliche Gleichgültigkeit. Bei den Franzosen stößt man auf Gehör, wenn es Paris nutzt. Die Deutschen müssen seit dem "Vaterländischen Krieg" verschärft zuhören, die anderen zählen nicht. Freilich hat Deutschland schon wegen der geostrategischen Mittellage ein natürliches Interesse. Man muß deshalb nicht gleich wie der General von Yorck in Tauroggen ausrufen: "Hier habt ihr mich!" oder das Gespenst von Rapallo sichten. Es gibt ein legitim
es Interesse Deutschlands am Schick-sal Rußlands.

Aber das Eigeninteresse, zumal in der globalisierten Welt, gebietet, auch über den europäischen Tellerrand hinaus zu schauen, beim Thema Raketenabwehr sogar über den Rand der Erde. Denn Amerika geht es keineswegs nur um die Abwehr von Raketen aus einigen "Schurkenstaaten" wie Nordkorea, Irak und Iran, mit denen Rußland übrigens freundschaftliche Beziehungen unterhält. Es geht um nicht weniger als die Beherrschung des Weltraums. Das geben amerikanische Generäle auf Anfrage indirekt und lächelnd zu. Die Pläne werden auch nicht mehr NDS (national defense system) genannt, sondern BDS (ballistic defense system). Nicht das nationale Territorium liegt im Zentrum der Interessen, sondern die ballistisch relevante Sphäre, der Weltraum. Wer diesen Raum beherrscht, der ist auf unabsehbare Zeit die Nummer eins der Welt.

Washington arbeitet mit wachsendem Druck am neuen System. Sämtliche Vorhaben aus der SDI-Zeit von Präsident Reagan werden neu geprüft. Experimente mit neuen Waffensystemen, unter anderem Laserkanonen, stehen auf dem Programm. Man weiß, daß auch die Russen neue Strategien entwickeln und vor allem ihre atomare U-Boot-Flotte ausbauen. Hier werden die noch vorhandenen Kräfte und Mittel konzentriert. Die neuen Antriebssysteme sind nahezu lautlos, man kann die Boote kaum noch orten, die Raketen selbst sind schneller als der Schall, so daß sie die Vorwarnzeit gegen null reduzieren. Hier hilft nur Lichtgeschwindigkeit, sprich Laserkanonen. Moskau strebt nach wie vor die strategische Ebenbürtigkeit an. Die ist nur auf dem technologisch-militärischen Feld durch die Fähigkeit zu erreichen, den ersten Schlag führen zu können und weitere folgen zu lassen. Das wiederum geht nur aus der Höhe des Raums oder aus der Tiefe des Meeres. Für den Weltraum fehlen die Mittel, bei den U-Booten sieht man eine Chance.

Eins muß man Putin lassen: Der ehemalige KGB-Spitzenmann spielt geschickt. Seine Annäherung an China und das unermüdliche Werben in Europa zeigen ihre Wirkung: Von den russischen Plänen weiß man nichts, von den amerikanischen hält man nichts. Der freundliche Judo-Experte hat die Europäer politisch aufs Kreuz gelegt. Noch nie war die russische Wirtschafts-und Industriespionage so aktiv wie heute, selten war Moskau so angesehen in Asien, umfassend sind die Waffenverträge mit dem Iran, lukrativ die Geschäfte mit Bagdad – all das wird geflissentlich übersehen, Putin ist Reformer und damit basta.

Die Deutschen wären gut beraten, sich nicht auf die Sirenenklänge aus dem Kreml einzulassen. Wie meinte schon Peter der Große: "Wir brauchen Europa auf einige Jahrzehnte, dann aber müssen wir ihm den Hintern kehren". Besser die Nummer zwei oder drei im atlantischen Gespann als das fünfte Rad an einem russischen Karren, der gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich im Morast überholter Vorstellungen steckt.

Und der ABM-Vertrag? Die Europäer tun sich schwer damit, gewohnte Denkmuster aufzugeben. Sie sehen im amerikanischen Raketenschild vorwiegend einen Faktor, der den sicherheitspolitischen Status quo verändert. Wie eine Monstranz heben sie den ABM-Vertrag in die diplomatische Höhe, so als ob dieser Vertrag den Rang der Zehn Gebote hätte.

Hat er aber nicht: Die Zehn Gebote sind zeitlos, der ABM-Vertrag dagegen ist ein Kind seiner Zeit, und diese war geprägt vom Ost-West-Konflikt. Washington hat längst alte Gegensätze hinter sich gelassen. Auch die atomare Ebenbürtigkeit, das heißt die Fähigkeit, sich gegenseitig zu vernichten, gehört dazu. Der ABM-Vertrag ist weitgehend obsolet, Geschichte und Technologie haben ihn zum alten Eisen der Diplomatie gemacht. So sehen ihn die Amerikaner, und die Russen benutzen ihn auch nur noch als Mittel in ihrem letzten großen Spiel.

 
     
     
 
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