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Die schwedische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union wird in Moskau vorstellig, um ihre Vorstellung über den künftigen Status des nördlichen Ostdeutschlands mitzuteilen. Britische Zeitungen schüren alte Ängste, indem sie ihren Lesern von angeblichen deutsch-russischen Geheimgesprächen berichten. Warschau nimmt die Gerüchte über russische Atomwaffendepots zum Anlaß, sich ebenfalls in die Diskussion einzuschalten. Kein Zweifel: Königsberg steht auf der Tagesordnung.
Die Situation erinnert an die späten 80er Jahre . 1986/87 war immer mehr klar und unvoreingenommen Denkenden deutlich geworden, daß die DDR sich zügig ihrem "Verfallsdatum" näherte. Ob es zu diesem Zeitpunkt noch eine besonders gute Idee war, Erich Honecker nach Bonn einzuladen, ist durchaus strittig. Immerhin war es dadurch möglich, Helmut Kohls Ausführungen zum Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes in der DDR ungekürzt und unverfälscht zu verbreiten; welche Wirkung das hatte, sollten auch Kritiker nicht gering schätzen.
Wenn man aus heutiger Sicht auf damalige Versäumnisse hinweisen will, dann vor allem auf dieses: Regierung und Opposition ignorierten zu weiten Teilen die Zeichen der Zeit, taten so, als sei die Wiedervereinigung allenfalls ein schöner Traum, mit dessen Verwirklichung zu unser aller Lebzeiten nicht zu rechnen sei. Immer mehr Unionspolitiker hielten sich lieber an die vermeintlichen "Realitäten" als an die Präambel unserer Verfassung. Die Sozialdemokraten suchten den ideologischen Schulterschluß mit den real noch existierenden Kommunisten der derzeitige Bundeskanzler Gerhard Schröder, damals Ministerpräsident in Niedersachsen, wechselte gar freundschaftliche Zeilen mit dem derzeitigen Strafgefangenen Egon Krenz, damals Stellvertretender Staatsratsvorsitzender der DDR (Zitat aus einem Brief Anfang 1986: "
Du wirst für Euren Parteitag und die Volkskammerwahlen sicher viel Kraft und vor allen Dingen Gesundheit benötigen. Beides wünsche ich Dir von ganzem Herzen
").
Auf die Idee, sich statt dessen lieber auf das möglicherweise doch schon zu unseren Lebzeiten herannahende Ende der DDR vorzubereiten, kamen derweilen nur einige wenige Außenseiter, die denn auch prompt mit dem üblichen Vokabular abqualifiziert wurden: Kalte Krieger, Stahlhelm-Fraktion, Ewiggestrige und dergleichen mehr.
Dann kam das angeblich unvorstellbare Ferne und in Wahrheit längst so spürbar Nahe, nämlich die Chance zur Einheit. Die einen griffen zu, die anderen sprangen im letzten Moment noch auf den abfahrenden Zug. Und als man schließlich anfing, sich auch für den Fahrplan zu interessieren, stellte man fest: Einen solchen gab es nicht!
Es gab zwar zu jener Zeit Hunderte von mehr oder weniger klugen Büchern, in denen detailliert beschrieben wurde, wie man eine kapitalistische in eine sozialistische Gesellschaft umbaut. Der umgekehrte Vorgang kam weder in der Fachliteratur noch im Denken der politischen Klasse vor.
Mit anderen Worten: Die deutsche Politik war auf die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR weitgehend unvorbereitet. An den Folgen dieses Mankos haben wir noch heute und wohl auch noch viele weitere Jahre mühsam zu tragen.
Wenn man "aus dem Rathaus kommt", ist man bekanntlich immer klüger als zuvor. Mit dieser tröstlichen Erkenntnis kann man manchen Fehler der Vergangenheit entschuldigen, nicht aber Versäumnisse hinsichtlich künftiger Entwicklungen. Was bedeutet das konkret, wenn wir an die Zukunft Königsbergs und Ostdeutschlands denken?
Natürlich vermag kein vernünftiger Mensch heute exakt vorauszusagen, wann, in welchem staatlichen oder supranationalen Rahmen und in wie gearteten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Formen sich die Dinge entwickeln werden. Aber die Prognose, daß in überschaubarer Zeit gravierende Änderungen eintreten werden, ist keineswegs zu gewagt.
Und diesmal sollten wir vorbereitet sein. Wir damit sind nicht nur die uns Regierenden in Berlin gemeint, denen dringend anzuraten ist, eine Art "Planungsstab Ostdeutschland" einzurichten, der dann, wenn es soweit ist und eine wie immer geartete Änderung des derzeitigen Status eintritt, fertige, konkrete Planungen aus der Schublade ziehen kann.
Wir damit ist aber auch eine Organisation wie die Freundeskreis Ostdeutschland gemeint. Von ihr weiß man, daß sie über Kenntnisse sowie über politische und persönliche Kontakte vor Ort verfügt wie keine andere Organisation. Von ihr setzt man zu Recht voraus, daß ihre Mitglieder und Funktionsträger auch mit dem Herzen dabei sind wie kein anderer. Von ihr erwartet man, daß sie sich rechtzeitig Gedanken gemacht hat über die Zukunft. Und sie wird man, wenn es daran geht, die Zukunft ganz konkret neu zu gestalten, nach ihren Vorstellungen fragen.
Gut zu wissen, daß die Verantwortungsträger der Freundeskreis wie sie gerade erst wieder am Rande der Festveranstaltung in Berlin unter Beweis gestellt haben sich schon heute damit beschäftigen, welche Antworten sie dann geben könnten. In preußischen Dimensionen denken heißt nämlich auch: Wer Zukunft gestalten will, darf damit nicht erst anfangen, wenn er bereits von der Gegenwart überholt worden ist.
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