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Seit Jahren ist die Innenstadt von Breslau eine Baustelle. Dort, wo der Krieg noch etwas von der historischen Bausubstanz übrig gelassen hat, wurde und wird aufwendig saniert. Jene Straßenzüge, die die sozialistische Städtebaupolitik unbewohnbar machte, entstehen schrittweise neu, und zwar in einem modernen, den historischen Vorbildern angepaßten Stil.
Fast 400 Millionen Mark sind seit der Wende vor zehn Jahren aus Brüssel, aber auch aus der Bundesrepublik Deutschland in die schlesische Landeshauptstadt geflossen, um sie rechtzeitig zu den diesjährigen 1000-Jahr-Feiern des Bistums und der Stadt in altem Glanz erstrahlen zu lassen.
Vor tausend Jahren wurde von Gnesen aus das Bistum Breslau gegründet, deshalb standen im Sommer vor allem die kirchlichen Feierlichkeiten im Vordergrund. Sie
erreichten ihren Höhepunkt am St. Johannes-Tag mit einer Millenniumsmesse vor der imposanten Kulisse der Siebenkurfürstenseite des Ringes und der restaurierten Elisabethkirche.
Kirchliche Würdenträger aus aller Welt und die politischen Spitzen des Landes nahmen teil, allen voran Präsident Kwasniewski, Oppositionsführer Krzaklewski und Lech Walesa, die den Gottesdienst zugleich als Auftakt ihres Präsidentschaftswahlkampfes mißbrauchten.
Von deutscher Seite waren beim Fest des Patrons der Kathedrale und des Bistums Joachim Kardinal Meissner und der Generalkonsul Peter Ohr anwesend, die beide Breslau ihre Geburts- und Heimatstadt nennen dürfen. Papst Johannes Paul II. schenkte dem Bistum ein kostbares Meßgewand, dafür erhielt ein neu erbautes Studentenwohnheim seinen Namen.
In den lokalen und landesweiten Berichten und Kommentaren zum Bistums- und Stadtjubiläum wurde zwar auf die "polnische Gründerzeit" Breslaus hingewiesen, gleichzeitig aber auch ein "multikulturelles Erbe" betont.
Die Warschauer Wochenzeitung Polityka überschrieb ihren ausführlichen Millenniumsbericht mit dem Titel "Stadt der vier Nationen", ohne daß der Korrespondent vermitteln konnte, welche kulturellen und historischen Leistungen Breslau den "Polen, Tschechen, Österreichern und Deutschen" jeweils zu verdanken habe.
In einem Kommentar zeigte sich denn auch ein polnischer Publizist ungehalten darüber, daß die seit einigen Jahren propagierte "Multikulturalität" der Odermetropole zu einer "Ersatzphrase" für die inzwischen in politischen Kreisen weitgehend verfemte "Wiedergewonnene-Gebiete-Ideologie" geworden sei. Bei einem Stadtrundgang und bei Museumsbesuchen, so der Kritiker, falle es ihm schwer, "etwas anderes als deutsche Kulturgeschichte zu entdecken".
Unübersehbar ist der Stolz der heutigen polnischen Einwohner, die Innenstadt nach 1945 aus den Ruinen weitgehend wieder aufgebaut zu haben, und daß der Blüchermarkt und der Ring heute schöner und farbiger denn je aussehen, wie selbst "frühere Bewohner" anerkennend bestätigen.
Zweifelsohne zählt der weitgehend sanierte Zentrumsbereich heute zu den schönsten Städtebildern Mitteleuropas. Der Zuspruch der alten Breslauer stärkt das Selbstbewußtsein der "Wroclawer", nach 55 Jahren zu einer eigenen regionalen Identität zu finden.
Kaum jemand wagt es heute, sich ohne den obligatorischen Aufkleber mit dem schwarzen schlesischen Piastenadler und der Aufschrift "Jestem Dolnoslazakiem" (Ich bin ein Niederschlesier) an der Heckscheibe seines Autos auf die verstopften Straßen der Wojewodschafts-Hauptstadt zu begeben.
Derweil gehen die weltlichen 1000-Jahr-Feierlichkeiten, die von einem Reigen von mehreren hundert politischen, kulturellen und sportlichen Veranstaltungen begleitet wurden, in diesen Wochen ihrem Ende entgegen. Der aus Brieg stammende Kurt Masur ließ es sich nicht nehmen, auf seiner Europatournee mit den New Yorker Philharmonikern einen Abstecher nach Breslau zu machen.
Am 1. Juli dirigierte Masur, der seit der Wende alljährlicher Gast seiner Heimat ist, in der ausverkauften Jahrhunderthalle Werke von Brahms, Bruckner und Weber vor einem begeisterten Publikum, das für den Eintritt bis zu hundert Mark zahlen mußte.
Die aufwendigste Veranstaltung folgte jedoch am 19. August, als Placido Domingo vor fünftausend Liebhabern seiner Kunst auf dem Breslauer Ring ein Open-Air-Konzert gab. Ein Ereignis, das tagelang die Zeitungsseiten beschäftigte, nicht zuletzt deshalb, weil die Kommunalpolitiker sich nicht hatten lumpen lassen und für das Großereignis 2,7 Millionen Mark aus dem Stadtsäckel bereitstellten.
Allein eine Werbeanzeige für das Domingo-Konzert in der britischen Times ließen sich die Stadtväter satte 400 000 Mark kosten. In Anbetracht der Kosten für die Kurzvisite des Opernsängers und dessen Mannschaft, zu der neben Technikern auch Köche gehört haben sollen, mischt sich neben Genugtuung zunehmend auch Kritik.
Einerseits sind die Bürger hocherfreut, in diesem Jahr sogar Krakau der "Kulturhauptstadt Europas" den Rang abgelaufen zu haben. Andererseits beklagen sich zahlreiche Zeitungsleser über die "hedonistischen Investitionen".
Vor allem jene breiten Bevölkerungsschichten, die sich die astronomischen Eintrittspreise von bis zu 175 Mark für das Domingo-Konzert nicht leisten konnten, wissen nicht so recht, ob sie sich freuen oder ärgern sollen.
In diesen Wochen fragen sich Publizisten und Lokalpolitiker, was von dem Millenniumstrubel für die Nachwelt bleiben werde. Der angesehene Kolumnist des "Wieczor Wroclawia" (Breslauer Abend), Wojciech Dzieduszycki, wünscht sich ein Denkmal, das ähnlich wie die Jahrhunderthalle an ein bedeutendes historisches Ereignis erinnern soll. Sein Vorschlag ist der Bau einer großen Parkanlage im Süden der Stadt, wo die gestreßten Bürger Entspannung finden und an Wochenenden gute Musik hören könnten.
Um den ersten tausend Jahren der schlesischen Metropole würdig Ausdruck zu verleihen, schreibt er, soll im Zentrum der Anlage als Treffpunkt für die Parkbesucher ein großes Frederik-Chopin-Denkmal den herausragenden Mittelpunkt bilden. Bleibt nur noch zu fragen, was der zweifellos bedeutende polnische Komponist eigentlich mit Breslau zu tun hat.
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