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Brutal aber realistisch

 
     
 
Die Forderung, die Gelder für den "Aufbau Ost" künftig zu konzentrieren, anstatt sie weiterhin nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, trifft ein Flächenland wie Brandenburg in seinem Selbstverständnis. Denn die Politik, durch die der langjährige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) populär wurde, hatte gerade darin bestanden, ein Netz von "Entwicklungszentren" über das gesamte Land zu knüpfen. Das kostete viel Geld, nur: entwickelt wurde wenig. In abgelegenen Gebieten wurden Prestigeprojekte
wie die Fertigungshalle für das Transportluftschiff "CargoLifter", die Chipfabrik in Frankfurt an der Oder sowie der Lausitzring aus dem Boden gestampft - allesamt Denkmäler einer gescheiterten Industriepolitik. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) haben daher anläßlich des Dohnanyi-Papiers nochmals die Abkehr vom "Prinzip Gießkanne" bekundet.

Schon seit Stolpes Abgang 2002 hatte die Landespolitik begonnen, die Deindustrialisierung, Abwanderung und Überalterung im Land als Phänomene zu akzeptieren, die zwar nicht aufzuhalten, aber zu steuern sind. Bis 2015 wird in Brandenburg ein Bevölkerungsrückgang von 2,6 auf 2,5 Mil-lionen Menschen prognostiziert. Daß er nicht viel größer ist, liegt an den zugezogenen Berlinern im Speckgürtel. Dahinter aber verbirgt sich eine dramatische Altersstruktur, die für die fernere Zukunft Böses erahnen läßt. In elf Jahren werden über 900.000 Brandenburger - das sind rund 37 Prozent - älter als 65 Jahre alt sein.

Unter diesen Umständen läßt sich eine flächendeckende Infrastruktur für Gesundheit, Bildung, Verwaltung und Verkehr nicht mehr aufrechterhalten. Die Folgen wird vor allem die dünnbesiedelte Peripherie - etwa die Prignitz und die Uckermark - zu tragen haben. Dorfbewohner werden entweder umziehen oder verstärkt in Nachbarschaftshilfe eintreten müssen. Die ökonomische Misere in Brandenburg kann man nicht ausschließlich auf die Landespolitik seit 1989 zurückführen. Die brandenburgischen Industriezentren hatten sich - anders als die in Mitteldeutschland und Sachsen - zumeist erst in der DDR herausgebildet, sie waren Kunst- schöpfungen aus dem Geist der länderübergreifenden sozialistischen Wirtschaftsplanung. Eisenhüttenstadt (ehemals Stalinstadt) an der Oder war in den 50er Jahren errichtet worden, weil der Transportweg für russischen Stahl und oberschlesische Kohle so am kürzesten war. Und das Petrochemische Kombinat Schwedt im Nordosten des Landes war an die sowjetische Erdölleitung "Freundschaft" angeschlossen. Diese Standorte erlebten nach dem Zusammenbruch des Osthandels massive Einschnitte.

Der EU-Beitritt der ostmitteleuropäischen Länder weckt neue Befürchtungen. Eine davon lautet, daß Brandenburg endgültig zum Transitland für Investoren wird, die sich lieber in Polen niederlassen. Außerdem nehmen bereits jetzt viele Bewohner der Grenzregion die billigen Dienstleistungen jenseits der Oder in Anspruch. Dieser Trend wird noch zunehmen. Die Landesregierung versucht, offensiv gegenzusteuern.

Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) stellte kürzlich eine Studie der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) vor, mit der er Brandenburg als "innerdeutsche Alternative zur Auslandsverlagerung deutscher Unternehmen" anpreist. Die Arbeitnehmer würden hier durchschnittlich 16 Tage länger im Jahr arbeiten als die westdeutschen Kollegen. Die Arbeitskosten betrügen 16,43 Euro gegenüber 26,36 Euro im Westen. Auch die Anzahl der Streiktage sei hier wesentlich niedriger. In Polen sei die Streikhäufigkeit sogar dreimal so hoch, die Arbeitsproduktivität dagegen um 20 Prozent niedriger. Indem der Minister mit der Genügsamkeit der Leute argumentiert, räumt er implizit ein, daß an eine Angleichung der Lebensverhältnisse an den Westen auf absehbare Zeit nicht zu denken ist. Das ist eine brutale, aber wenigstens realistische Einschätzung.

Abgehoben: Mit hochfliegenden Plänen ist Brandenburgs Politik vertraut - doch wie das Prestigeprojekt CargoLifter scheiterte auch die Strukturpolitik. Jetzt ist Umdenken gefragt.
 
     
     
 
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