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Die Suhrkamp-Krise ist mit dem Rücktritt des erst im vergangenen Jahr installierten Stiftungsrates, dem unter anderem Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas und Alexander Kluge angehörten, in eine neue Etappe eingetreten. Schon seit längerem macht der Frankfurter Verlag mehr durch interne Skandälchen von sich reden als durch seine Neuerscheinungen. Am Anfang stand der Streit des - im Oktober 2002 verstorbenen - Patriarchen Siegfried Unseld mit seinem Sohn Joachim, der mit dem Rausschmiß des designierten Nachfolgers endete. In diesem Sommer wurde unter großem Getöse Ted Honderichs Buch "Nach dem Terror" zurückgezogen, wobei der Verlag völlig unsouverän agierte. Es folgte der Rücktritt des Geschäftsführers Günter Berg, und nun vollzieht sich vor aller Augen die Machtergreifung durch die schöne Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz. Suhrkamp war stets mehr als nur ein Verlag, er war die Produktionsstätte des bundesdeutschen Sonderbewußtseins. Kein Wunder also, daß alles, was dort geschieht, sofort auch symbolisch gedeutet wird.
Man kann es sich einfach machen und in Ulla Berkéwicz die böse, von Ehrgeiz zerfressene Frau sehen, die sich zuerst als Schauspielerin versucht und dazu einen Regisseur geheiratet hatte - vergebens. Dann wollte sie Schriftstellerin werden und ehelichte prompt den prominentesten Verleger des Landes. Auch das war letztlich ohne Erfolg. Jetzt will sie als Verlegerin vorwärtskommen. Für diese Lesart spricht einiges. Man muß aber auch sehen, daß die großen Autoren, die den Ruf von Suhrkamp bestimmen - neben Enzensberger und Habermas sind das vor allem Adorno, Bernhardt, Brecht, Frisch, Hesse, Johnson, Koeppen, Walser -, durchweg älteren Generationen angehören. Das Haus droht zum Museum seiner selbst zu werden. Außerdem denkt Martin Walser, der immer noch für einen Bestseller gut ist, über eine Trennung nach, seitdem er im Streit mit Marcel Reich-Ranicki um das Buch "Tod eines Kritikers" vom Verlag im Stich gelassen wurde. Angesichts dieser Problemlast kann dem Haus ein frischer Wind nur guttun. Dann wäre es aber an der Zeit, daß Berkéwicz ihre konzeptionellen Überlegungen - falls sie welche hat - öffentlich macht.
Trotzdem: Die Suhrkamp-Geschichte ist die vom übermächtigen König, der eine neue Frau heiratet und den Sohn verstößt. Diese aber folgt dem Muster des degenerierten Fürstenhauses, das sich selber abschafft. Es hat eine ironische Pointe, daß dieser Archaismus sich in einem Haus abspielt, das sich die Aufklärung und den herrschaftsfreien Dis-kurs, an dessen Ende der vernünftige Konsens stehen soll, auf die Fahnen geschrieben hatte. Bei der ersten Bewährungsprobe ist dieser ideologische Überbau zusam-mengebrochen. Auch darin liegt eine tiefe Symbolik: Suhrkamps geistiger Hegemonialanspruch hat sich widerlegt und ist an sein Ende gekommen. Dem Haus fehlt nun ein innerer Kompaß.
Für diejenigen aber, die darüber in Schadenfreude ausbrechen, weil ihnen Suhrkamps politischer Kurs sowieso nie gefallen hat, könnte es ein böses Erwachen geben. Der Anspruch dieses Hauses war immerhin ein geistiger. Es wäre ja schön, wenn seine Meinungsführerschaft von einer neuen Pluralität abgelöst würde. Es kann aber auch alles noch viel schlimmer kommen. Wegen seines gesellschaftlichen Einflusses wurde Suhrkamp in der Vergangenheit als Gigant wahrgenommen. In Wahrheit handelt es sich aber um einen mittelständischen Betrieb, der 140 Mitarbeiter hat und einen Umsatz von 40 Millionen Euro erzielt. Die Bilanzen sind nicht gut, im vergangenen Jahr lagen sie im roten Bereich.
Über solche Summen kann ein wirklicher Gigant wie Bertelsmann nur lachen. Der Theaterdonner um das Frankfurter Verlagshaus macht schnell vergessen, daß nicht mehr Suhrkamp, sondern der "global player" aus Gütersloh die wirklich dramatischen Bewegungen auf dem deutschen Buchmarkt in Gang setzt. Dazu zählen die Fusionswelle und die dauernden Versuche, die Buchpreisbindung zu unterlaufen und letztlich aufzuheben, sowie der Versuch, den deutschen Taschenbuch-Markt unter seine Kontrolle zu bringen. Mit großem Aufwand wird nationaler und internatio- naler BestsellerSchrott auf den deutschen Markt gedrückt. Bertelsmann verdanken wir so unvergeßliche Werke wie Goldhagens "Hitlers willige Vollstrecker", das unter dem seriösen Markenzeichen des aufgekauften Siedler-Verlages unter die Leute gebracht wurden. Bertelsmann ist alles zugleich: Verlag, Buchclub, Medienkonzern, Verwertungskette. Mit dem künstlich angeheizten Dieter-Bohlen-Fieber, dem sich auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht entziehen konnte, hat Bertelsmann sogar die letzte Buchmesse in Frankfurt dominiert. Da fragt man sich: Quo vadis, deutsches Kulturvolk?
Diese Gefahr bedenkend, bleibt gar nichts anderes übrig, als Ulla Berkéwicz und dem Suhrkamp-Verlag für die Zukunft alles Gute zu wünschen.
Neue Suhrkamp-Chefin: Die Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz |
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