|
Ostdeutschland das Land und seine Menschen stellen sich Fremde heute noch oft als besonders von der Landwirtschaft geprägt vor. Ostdeutschland und seine Hauptstadt Königsberg galten für viele "aus dem Reich" als tiefste Provinz. Dorthin versetzt zu werden wurde oft genug als Strafe empfunden zunächst allerdings nur, denn später lernten viele aus dem Westen stammende Menschen diesen Landstrich und seine Bewohner kennen und lieben.
Vor allem Künstler aus anderen Gauen zog es in den Osten. Die Maler auf die Kurische Nehrung um des unvergleichlichen Lichtes willen; Bildhauer und Musiker in das rege Treiben der Provinzhauptstadt. Die Kunstakademie unter dem Direktorat von Ludwig Rosenfelder, seinem Nachfolger Carl Steffeck und vor allem unter Ludwig Dettmann verstand es, zahlreiche namhafte und hoffnungsvolle Künstler aus dem Westen nach Ostdeutschland zu locken. Zu ihnen gehörte der am 5. September 1843 in Siegen geborene Friedrich Reusch.
Schon als Junge fühlte sich der Sohn eines Schreinermeisters und Holzschnitzers zur Gestaltung hingezogen. Wenn der Vater schnitzte, fiel für den Sohn sicher oft das eine oder andere Stückchen Holz ab, so daß der Knabe seinen eigenen Ideen Gestalt geben konnte. August Kiß, Schüler von Christian Rauch und Schöpfer des Reiterdenkmals Friedrich Wilhelms III. auf dem Königsgarten in Königsberg, riet den Eltern, nachdem er erste Versuche des Sohns gesehen hatte, Friedrich eine künstlerische Ausbildung angedeihen zu lassen.
1863 ging der junge Mann nach Berlin auf die dortige Kunstakademie; 1866 war er Schüler im Meisteratelier von Albert Wolff. Ein Stipendium ermöglichte es ihm, 1872 nach Italien zu reisen, wo er zwei reizende Plastiken Amor und Psyche schuf. 1874 ließ er sich als freier Künstler in Berlin nieder, bis er 38jährig dem Ruf nach Königsberg folgte, um an der dortigen Kunstakademie die erste Bildhauerklasse einzurichten.
Ein Vierteljahrhundert blieb Friedrich Reusch in der Stadt am Pregel, wo er bald geschätzt wurde und von den Studenten schlicht "Der Meister" genannt wurde. Neben seiner Lehrtätigkeit fand Reusch aber immer noch die Zeit, eigene Aufträge zu erfüllen. Die meisten seiner Werke wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, doch werden sich alte Königsberger noch gern an seine Büsten, Allegorien oder Denkmäler erinnern, die man allerorten im öffentlichen Raum fand (am Landeshaus, im Wilhelmsgymnasium, am Regierungsgebäude, in den Städtischen Kunstsammlungen oder in der Universität). 1883 wurde Friedrich Reusch Professor und die Albertus-Universität ernannte ihn zum Dr. ehrenhalber.
1902 erkrankte der Bildhauer so schwer, daß er für einige Zeit den Meißel aus der Hand legen mußte. Es entstanden nur noch wenige Werke. Genesung suchend, reiste Reusch im Herbst 1906 nach Italien. Dort ereilte ihn am 15. Oktober in Agrigent der Tod. In Siegen fand er im Grab seiner Eltern die letzte Ruhestätte unter dem von ihm geschaffenen Todesengel.
Zu den bekanntesten Werken Reuschs gehört zweifellos das 6,80 Meter große Denkmal Wilhelms I. als König. Die machtvolle Darstellung des Monarchen stand auf einem 1900 Zentner schweren Granitfindling aus dem Samland und wurde 1894 auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz enthüllt. Schon damals waren die Kosten beachtlich: 376 000 Mark!
Gewaltig wirkte auch ein weiteres Werk auf den Betrachter: das in doppelter Lebensgröße ausgeführte Denkmal für Herzog Albrecht, 1891 im Beisein des Kaiserpaares am Haberturm enthüllt und 1935 aus "verkehrstechnischen" Gründen an den Turm des Kürschners verbannt. Kaiser, Gelehrte und ehrenwerte Bürger hat Friedrich Reusch dargestellt, lange aber brauchte es, bis er eine Arbeit ausführen konnte, die er "schon zehn Jahre mit sich herumtrug": den Deutschen Michel. Die kräftige Bauerngestalt mit einem Dreschflegel über der Schulter und 2,20 Meter hoch entsprach, als sie endlich fertiggestellt war, nicht mehr dem Geschmack der Zeit, so daß Reusch sie der Stadt 1904 schenkte. Zunächst wurde der Deutsche Michel im Garten des Prussiamuseums aufgestellt; erst 1924 fand er eine wirkungsvolle Heimstatt in den Anlagen am Wrangelturm, wo er von vielen Königsbergern gesehen wurde, die ihn alsbald in ihr Herz schlossen. Peter van Lohuizen
|
|