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Das Standard-Werk über deutsche Konzentrationslager ist Eugen Kogons Darstellung "Der SS-Staat - Das System der deutschen Konzentrationslager", in erster Auflage 1946 erschienen. Einer Neuauflage im Jahre 1974 schickte Kogon ein neues Vorwort voraus, in dem er seine Bedenken einer Veröffentlichung wegen darlegt: "Als ich den Bericht seinerzeit abfaßte, habe ich mich gefragt, ob es richtig sei, ihn der Öffentlichkeit vorzulegen. Ich schrieb, im Dezember 1945, in meinem Vorwort zur Erstauflage des Buches: ‚Es steht an der Grenze des Sittlich-Erlaubten, denn es bringt inhaltlich kaum etwas Gutes ."
Im Jahre 1946 erschien ein weiterer Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald: "Der Totenwald - Ein Bericht", Rascher-Verlag Zürich. Das Manuskript hatte eine bewegende Geschichte. Der Autor Ernst Wiechert wurde am 6. Mai 1938 auf seinem Hof Gagert in Wolfratshausen bei München von der Gestapo verhaftet. Auslöser war seine Weigerung, für das Winterhilfswerk zu spenden und statt dessen die Familie des inhaftierten Pastors Niemöller zu unterstützen. Doch hatte das NS-Regime den Dichter schon lange im Visier. 1933 hatte Wiechert in München vor Studenten die Rede "Der Dichter und die Jugend" gehalten, 1935 die Rede "Der Dichter und seine Zeit", ebenfalls in München. Beide Reden enthielten kritische Gedanken zur NS-Ideologie und brachten die Machthaber auch deshalb besonders auf, weil sie in Wiecherts Werk eine ihnen nicht genehme "Blut- und Boden"-Darstellung zu finden meinten. Am 4. Juli 1938 wurde Wiechert aus der Münchener Untersuchungshaft ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt, wo er als "Häftling Nr. 7188" in Block 17 erst im Steinbruch, dann in der Strumpfstopferei und zuletzt in der Häftlingsbücherei arbeitete, in der seine eigenen Bücher standen.
Internationale Proteste und das Risiko, nach dem Tode Carl von Ossietzkys ein weiteres prominentes Opfer verantworten zu müssen, bewog die Machthaber, den berühmten Dichter am 24. August 1938 zu entlassen. Nach einer Begegnung mit Propagandaminister Joseph Goebbels in Berlin, die dieser in seinem Tagebuch mit den Worten "Hinter einem neuen Vergehen steht nur die physische Vernichtung. Das wissen wir nun beide" kommentierte, kehrte Wiechert auf den Hof Gagert zurück.
"Ich war krank, als ich zurückkam, und in meiner Seele sah es dunkel aus", schreibt Wiechert später in seinen Lebenserinnerungen "Jahre und Zeiten". Er stand unter Gestapo-Aufsicht, mußte sich regelmäßig melden, seine Post und sein Telefon wurden überwacht, die Buchhandlungen durften seine Bücher nicht auslegen und der Verlag seinen Namen in den Verlagsprospekten nicht erwähnen.
Ein Jahr nach seiner Entlassung schrieb er den Bericht über seine Lager-Erfahrungen. "Aber auf irgendeine Weise mußte ich dieses vergangene Jahr von meiner Seele wälzen. Es lag dort wie ein Stein auf einer Grabkammer ...". Das Manuskript vergrub er im Garten. Dort überdauerte es den Krieg und den Zusammenbruch, und 1946 erschien "Der Totenwald" in Zürich und München.
In dem Bericht finden sich alle Details aus Kogons "SS-Staat" wieder. Wertvoll ist die Authentizität des Zeitzeugnisses, aber erschütternder sind die Erfahrungen des Leides und der Menschlichkeit. Wiechert schreibt in der dritten Person und nennt den Protagonisten Johannes. Dieser hört und sieht "ein Bild der Verfluchten, aus einer Unterwelt wie ein Spuk hervorgetaucht, oder eine Vision aus einer Hölle, an die kein Pinsel eines der großen Maler, keine Nadel eines der großen Radierer heranreichte, weil keine menschliche Phantasie und nicht einmal die Träume eines Genies an eine Wirklichkeit heranreichten, die ihresgleichen nicht in Jahrhunderten, ja vielleicht niemals gehabt hatte."
Aber Johannes erfährt auch Hilfe und Menschlichkeit, so von dem Vorarbeiter Hans Becker. "Du wußtest nichts von Goethe oder Mozart. Du glaubtest an keinen Gott und warst ein Hochverräter, aber wenn ein Gericht sein wird, von dem die Bücher sagen, werden die Richter aufstehen und sich neigen vor dir, weil du vieler Menschen Kreuz auf dich genommen hast."
Bildung und sozialer Status waren ohnehin sinnlos in dieser Welt des Lagers, in der es nur Henker und Opfer gab. "Niemals war die Nacktheit der Macht schamloser verbrämt worden, niemals das ‚Ebenbild Gottes tiefer geschändet worden." Diese Welt war die Hölle, bestimmt von der Abwesenheit Gottes. "Gott hatte sie (die Gefangenen) verlassen und war gestorben."
Und doch sucht und sieht der Protagonist Johannes einen Sinn in diesen furchtbaren Erfahrungen. "Vielleicht war schon zuviel Sicherheit in seinem Leben gewesen, zuviel Ruhm, zuviel Leben im Schmerzlosen außer in dem der Phantasie. Und da das Schicksal mehr mit ihm gewollt hatte, so hatte es ihn hierher geworfen, in den großen Tiegel der Qualen, und er würde nun zu zeigen haben, ob es ihm zum Segen geworden sei."
Zum Segen wurde der Bericht gleich bei seinem Erscheinen. "Vielen Irregeführten hat ‚Der Totenwald die Augen geöffnet, als er 1946 in München und 1947 in Ost-Berlin erschien. Dieses Buch gehört zu jener Literatur der ersten Stunde, die die geistige Erneuerung fördern half", schreibt Hans-Martin Pleßke.
Zum Segen wurde es auch für das deutsche Ansehen im Ausland. Nicht zuletzt deshalb genießt der Dichter die uneingeschränkte Verehrung besonders bei den polnischen und russischen Lesern, so daß sich ein Fundament für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen deutschen, polnischen und russischen Wiechert-Anhängern bilden konnte. Die Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft ist das beste Zeugnis dafür.
Vor dem Wiechert-Museum in Sensburg: Mitglieder der "Internationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft" (Beutner) |
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