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Fast schien das Thema schon abgehakt: Die (in diesem Falle literarische) Welt war säuberlich eingeteilt in die Guten und die Bösen, die schreibenden und sendenden Gutmenschen in den Medien hatten ihre vernichtenden Urteile über den bösen Tabubrecher vom Bodensee gefällt, der Streit um Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki hatte - vorerst - seinen Wahlkampf-Zweck erfüllt, das Publikum durfte sich auf die nächste Antifaschismus-Kampagne einstellen. Diesmal gab das NDR-Polit-Magazin Panorama die Richtung vor: "rechte Gewaltverherrlicher in der Union"! Im Visier: der Bonner Extremismusforscher Professor Hans-Helmuth Knütter, dem derlei Attacken nicht neu sind, da er sich nicht von der ketzerischen Meinung abbringen läßt, Extremismus und Gewalt gebe es nicht nur rechts, sondern auch links.
Ein wenig ist das gewohnte Kampagnenspiel jetzt aber durcheinandergeraten, dank der Münchner Universität. Die nämlich nutzte die Gunst der Stunde und beglückte die literarische wie die politische Welt mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Marcel Reich-Ranicki. Daß es sich dabei um eine nicht nur wissenschaftlich, sondern auch ideologisch motivierte Auszeichnung handelt, verdeutlichte Prof. Andreas Heldrich, Rektor der Uni. Er sprach von einem "Signal ... in einer gesellschaftspolitischen Diskussion" und einem "Plebiszit für Marcel Reich-Ranicki". (Letzteres mag man interpretieren, wie man will: als akademisch-elitäre Arroganz, simple Selbstüberschätzung oder grobes Mißverständnis des traditionsreichen Satzes "Wir sind das Volk" seitens der Vertreter von sechs Fakultäten, die der Ehrung des Literaturkritikers schließlich zustimmten).
Vermutlich wäre - da ja bereits die nächste Kampagne angestoßen war - außerhalb der Münchner Lokalpresse von der Ehrendoktorwürde kaum Notiz genommen worden, hätte der solchermaßen Geehrte die Gelegenheit nicht genutzt, noch einmal kräftig nachzutreten. Seine "Dankrede" stand zwar unter dem unverfänglichen Motto "München und der Geist der Erzählung", wäre aber korrekter so zu betiteln: "München und der Ungeist der Verleumdung".
Ein Viertel der Redezeit verbrachte der frischgebackene Ehrendoktor damit, sich in Formulierungen wie "Verachtung", "Wut", "gefährlich", "Mordphantasie" zu ergehen. Dem Kontrahenten Martin Walser hielt er vor, "im nationalsozialistischen Geiste erzogen" zu sein und "seine Instinkte nicht mehr beherrschen" zu können; das Fazit seines Romans sei "Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Jude."
Reich-Ranickis Rundumschlag trifft aber nicht nur Walser persönlich, sondern auch Verleger Siegfried Unseld, der an dem "dubiosen und düsteren Buch ... ein Vermögen verdient", ferner alle Journalisten und Germanisten, die "sich nicht entblöden, diesen übelriechenden Roman zu verteidigen", und nicht zuletzt jene bislang 150.000 Menschen, die - gegen Reich-Ranickis "Empfehlung" - Walsers Roman kauften, einen Roman, der "dem Vorbild des Stürmers folgend, Ekel hervorrufen möchte".
Vergleicht man diese Rede mit dem Text Martin Walsers, kann man allerdings nur zu diesem Fazit kommen: Alle Grobheiten, die Reich-Ranicki dem "Erzähler vom Bodensee" an den Kopf wirft, fallen wie ein Bumerang auf ihn selber zurück. Seine, nicht Walsers, Sprache fällt in die Kategorie "Totschlag-Vokabular". Er, nicht Walser, kann "seine Instinkte nicht mehr beherrschen", läßt "seinem Haß freien Lauf".
Martin Walser nannte seinen Roman "Tod eines Kritikers". Der selbsternannte "Literaturpapst" Reich-Ranicki, der sich nicht ohne Grund darin wiedererkennt, greift ungewollt den Buchtitel auf: Seine Münchner Haßtirade, mit der er Martin Walser endgültig richten wollte, ist letztlich eine Art literarischer und moralischer "Hinrichtung". Und dieser zweite "Tod eines Kritikers" ist Martin Walser nun wirklich nicht anzulasten; der "Täter" ist Marcel Reich-Ranicki, es war also "Selbstmord". Dies immerhin aber, dank der Münchner Universität, in allen Ehren . |
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