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Kürzlich wurde der deutschen Öffentlichkeit ein seltsames Schauspiel geboten. In Zeitschriften, Zeitungen und im Fernsehen erfuhr man, daß die Stadt Rüsselsheim das Mitglied einer amerikanischen Bomberbesatzung des Zweiten Weltkriegs zu einer Sühneveranstaltung eingeladen hatte. Wer meinte, hier solle der erbarmungslose Luftkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung gesühnt werden, der irrte. In einem Veitstanz von Selbstbeschuldigungen, Reuegelöbnissen und Schambekenntnissen baten Prominente der Stadt Rüsselsheim Sidney E. Brown (76) aus Florida um Verzeihung dafür, daß nach einem schweren Luftangriff auf Rüsselsheim, der fast 200 Zivilisten das Leben kostete, sechs Besatzungsmitglieder eines abgeschossenen Bombers, die als Kriegsgefangene durch die Stadt zum Verhör geführt wurden, in einer Art Lynch-Justiz von erbitterten Rüsselsheimern erschlagen worden sind. Brown und ein Kamerad überlebten.
Nach dem Kriege verurteilte die amerikanische Armee deswegen sieben Rüsselsheimer zum Tode und drei weitere zu langjährigen Haftstrafen. Fünf Todesurteile wurden vollstreckt. Tatsächlich gab es in Deutschland in den letzten Monaten des Krieges eine ganze Reihe von solchen spontanen Aktionen der Selbstjustiz an gefangen genommenen Bomberbesatzungen. Der Hintergrund: Von Anfang an flogen vor allen Dingen die Briten Flächenangriffe gegen die Zivilbevölkerung, um die Moral der Deutschen zu brechen.
In den letzten Kriegsmonaten verfeinerten sie ihre völkerrechtswidrigen Mordaktionen. Da wurden in Massen Tiefflieger eingesetzt, die Jagd machten auf einzelne Personen vor allem auf dem flachen Lande, auf Bauern auf dem Feld, auf Kinder auf dem Schulweg, auf Frauen mit Kinderwagen. Der Haß gegen diese Mörder wurde allgemein. Es soll etwa 100 solcher Lynch-Aktionen gegeben haben. Die Alliierten ahndeten sie nach dem Krieg durch drakonische Strafen, die Schuldige wie Unschuldige trafen.
Damit aber gaben sich die heutigen Rüsselsheimer Stadtoberen nicht zufrieden. Sie wollten büßen, wollten „Zeichen setzen“, sie „warnten davor, das Geschehene zu verdrängen“. Und so ließen sie vor einigen Jahren ein großes Bild malen und in den Magistratssaal des Rathauses hängen, das die „FAZ“ so schilderte: „Es zeigt marschierende Karnevalisten in Uniform (gemeint ist wohl in Kostümen) auf einer der Rüsselsheimer Straßen, wo die amerikanischen Soldaten mißhandelt worden waren. Unter dem Asphalt der Straßen sieht man schemenhaft liegende Körper, aber auch Wehrmachtsoldaten und einen Mann mit einem Zeichen, das einem Davidstern ähnelt.“
Und in diesen Tagen kam es nun zu einem neuen Spektakulum. Hannes Heer, der gescheiterte Macher der Reemtsma’schen Hetzausstellung gegen die Wehrmacht, hatte auch seine Hand im Spiel. Er trat öffentlich zusammen mit einem Psychoanalytiker und anderen einschlägigen Fachleuten auf, um seine Scheinwissenschaft zu verbreiten. Eine „Forschungsgesellschaft für Stadtkultur“ wurde aktiv, die evangelische Kirche durfte dabei naturgemäß nicht fehlen, und so bekannte man denn wieder einmal seine Schuld mit der Begründung, „damit sich die Selbstjustiz nicht wiederhole“.
Nun besteht kein Zweifel, daß der Mord an Kriegsgefangenen ein Völkerrechtsbruch ist, der gebührend zu ahnden ist. Das ist in Rüsselsheim bereits 1945 mit der Hinrichtung von fünf Rüsselsheimern geschehen. 56 Jahre hinterher wälzt man sich immer noch im Staube und streut sich Asche aufs Haupt. Wen interessiert es, daß an allen Fronten Zigtausende von deutschen Kriegsgefangenen umgebracht worden sind? Das konnte in seiner Folge 35 am 2. September 2000 detailliert schildern, wie am 31. August 1944 Mitglieder der französischen Widerstandsbewegung in Anoulême deutsche Kriegsgefangene ohne jeden Grund kaltblütig ermordeten. Wir konnten Namen von Tätern nennen und den genauen Ort. Kein Mensch kümmerte sich darum und genausowenig um tausend ähnliche Fälle.
Die „FAZ“ veröffentlichte am 25. August 2001 einen feinsinnigen Artikel zu der Frage, „wie und warum die Italiener ihren Kriegsverbrechern keinen Prozeß machten“. Die Zeitung könnte daraus eine Serie machen etwa mit den Titeln „Wie und warum machten die Briten ihren Kriegsverbrechern keinen Prozeß?“ und „Wie oder warum machten die Franzosen ihren Kriegsverbrechern keinen Prozeß?“ und die Russen und die Polen und die Tschechen und die Amerikaner, und, und, und ... Übrig bleibt dann die Frage, und sie ist von viel größerer Bedeutung: „Warum reißen wir Deutschen als einzige in der Welt viele Jahre nach dem Kriege immer wieder unsere Wunden auf und streuen Salz hinein?“
Sind wir nun bessere Menschen als die anderen, weil wir unentwegt „unsere Schuld, Scham und Trauer“ hinaustrompeten? Oder sind die anderen realistischer? Oder - und das soll wohl in Wahrheit der Sinn der masochistischen Aktionen sein - soll sich die Einstellung festsetzen, daß es nur die Deutschen waren, die zwischen 1939 und 1945 Verbrechen begangen haben? Tatsächlich ist es inzwischen in das Bewußtsein vor allem junger Menschen eingefräst worden: Verbrechen gab es nur auf deutscher Seite. Die Deutschen sind damit die Bösen und demzufolge die anderen die Guten. Da sieht man dann mit Behagen abends im Fernsehen Kriegsfilme aus Hollywood-Produk- tionen, in denen wackere und tollkühne Amerikaner gegen die „Nazis“ kämpfen, und die jungen deutschen Zuschauer freuen sich, wenn die „Nazis“ Hiebe kriegen, ohne zu kapieren, daß es sich bei den „Nazis“ um ihre Großväter gehandelt hat, die sie doch immer ganz gern hatten.
„Nach Canossa gehen wir nicht“, hatte Bismarck seinerzeit gesagt. Die Deutschen fühlen sich in Canossa offensichtlich heute sauwohl. Und die anderen finden es auch großartig, wie sich die Deutschen geißeln und wie man sie dabei um so leichter zur Kasse bitten oder zu einer willfährigen Politik zwingen kann.
In Rüsselsheim scheint der einzige Normale der ehemalige amerikanische Bomberpilot gewesen zu sein. Er erzählte einigermaßen unbekümmert im Fernsehen, als Christ habe er keinerlei Haßgefühle gegen die Deutschen. Zu den blutigen Vorfällen seinerzeit in Rüsselsheim meinte er trocken: „Ich bin zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.“ Hans Arp
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