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Es war fast wie in jenen legendären "guten alten Zeiten", von denen alle schwärmen - und von denen keiner weiß, ob es sie jemals wirklich gegeben hat: Die Genossen rückten eng zusammen, sangen laut und nicht einmal allzu falsch "Wenn wir schreiten Seit an Seit ", drückten beim letzten Blick zurück ohne Zorn ein Tränchen aus dem linken Auge (oder war es doch das rechte?), machten sich Mut, statt zu jammern, und freuten sich, daß sie endlich als Vormann wieder einen haben, der ihre Sprache spricht, einer der Ihren ist: Genosse Franz, ein Parteichef zum Anfassen, mit völlig unintellektuellem Vokabular und Satzbau, so ganz anders als der scheidende Genosse der Bosse im Nadelstreifen, der sich der eigenen Partei nur als MedienEvent zu nähern pflegte.
Mit dem Wechsel an der Spitze, so die einfache Botschaft am Abend des Berliner SPD-Parteitags, beginnt für Deutschlands Sozialdemokratie eine neue Zeit: heraus aus dem Jammertal der Umfragetiefs und Wahlschlappen.
Aber halt, schlag nach bei Goethe: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube ...", befand schon Faust im ersten Teil der gleichnamigen Tragödie. Das geflügelte Wort läßt sich übertragen auf jene Tragödie, als die viele Bürger die derzeitige Berliner Politik empfinden.
Was hat sich denn mit dem letzten Sonntag in Deutschland geändert? Erklärtermaßen so gut wie nichts! Die Reformpolitik - oder das, was Rot-Grün so nennt - soll unverändert weitergeführt werden mit ihren durchaus hoffnungsvollen und richtigen Ansätzen, aber auch mit all ihren Halbherzigkeiten und handwerklichen Peinlichkeiten.
In der ihm eigenen Grundschul-Rhetorik verkündet der neue Parteichef: "Wir wollen regieren." Wirklich überraschend, fast sechs Jahre nach dem Ende der Ära Kohl: Was haben die Herren eigentlich seit 1998 gemacht?
Es könnte sich schnell - spätestens bei den nächsten Wahlterminen - als Trugschluß erweisen, eine Personalverschiebung an der Spitze reiche bereits aus, um den Bürgern eine eigentlich richtige, nur leider bislang von diesen nicht richtig verstandene Politik schmackhaft zu machen. Das Ziel einer jeden Reformpolitik, darin ist Schröder und Müntefering zuzustimmen, kann nur lauten, unser Sozialsystem so umzubauen, daß es wieder finanzierbar wird, unser Wirtschaftssystem wieder so leistungs- und konkurrenzfähig zu machen, daß Wohlstand und soziale Gerechtigkeit auf Dauer gesichert sind. Reformen, die diesem Ziel dienen, werden von der Mehrheit der Deutschen akzeptiert, auch wenn sie Opfer verlangen.
Solange aber eine Regierung nur Reform-Aktivismus entfaltet, ohne dem Ziel näherzukommen, wird das schlichte Stakkato des Genossen Müntefering nicht mehr bewirken als die Eloquenz des Medienjongleurs Schröder. Ein Beispiel: Die massiven Einschnitte infolge der Gesundheitsreform wären für den Bürger nur akzeptabel, wenn sie wirklich spürbare Beitragssenkungen (und nicht nur lächerliche 0,0X Prozentpunkte) bewirkten. So aber muß man feststellen: Die Reformpolitik führt bislang nur zu immer höheren Belastungen, nicht aber zu positiven Effekten. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die Kaufkraft niedrig, die Pleitewelle im Mittelstand rollt weiter - auch ein Franz Müntefering kann das auf Dauer nicht schönreden.
Einziger Trost der rot-grünen Koalitionäre: Die Opposition ist weit davon entfernt, sich als überzeugende Alternative zu präsentieren - inhaltlich, aber auch personell. Mittelmaß an allen Fronten - trübe Aussichten für Deutschland.
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