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Zeitgeschichte: Hitlers Residenz im Osten

 
     
 
Während im Herbst 1999 in Berlin Teile von Hitlers Bunker unter der Neuen Reichskanzlei (29 erhaltene Räume!) zugeschüttet wurden, steht im polnischen Posen mit dem Schloß bis heute teils unverändert eine von vier "Residenzen des Führers".

Die faszinierende Geschichte dieses 1905-10 von Franz Heinrich Schwechten, dem Lieblingsarchitekt
en Wilhelms II., erbauten Palastes erzählt das im März erschienene Buch "Hitlers Schloß. Die ‚Führerresidenz in Posen".

Dabei konnten die Verfasser Heinrich Schwendemann und Wolfgang Dietsche viele neue Erkenntnisse über den Monumentalbau zutage fördern, der - umgeben von einem ganzen Ensemble wilheminischer Prachtbauten - als deutsche "Trutzburg" (mit Anleihen bei der Marienburg und den mittelalterlichen romanischen Kaiserpfalzen) bzw. "Zwingburg" im mehrheitlich polnischen Posen fungierte.

Im Jahr der Einweihung des Schlosses bekannten sich von den 160 000 Einwohnern etwa 65 000 (rund 41 Prozent) als Deutsche und ca. 90 000 (rund 56 Prozent) als Polen. Das gut lesbare Buch behandelt ausführlich die Nationalitätenkonflikte in der Region ab 1793, als die Provinz Posen Preußen zugeschlagen wurde, zu dem es bis Ende des Ersten Weltkrieges gehörte.

Zugespitzt wurde das jahrhundertelang gedeihliche Zusammenleben vor allem während der "Germanisierungspolitik" unter dem Oberpräsidenten Eduard von Flottwell in den 1830er Jahren, in der Ära des preußischen Ministerpräsidenten Bismarck, unter Reichskanzler Bernhard von Bülow (1900-09) und vor allem im Zuge der Herrschaft der nationalsozialistischen Amtsträger im annektierten "Reichsgau Wartheland" ab Herbst 1939.

Während zuvor die Benachteiligungen und Entrechtungen nie so weit gegangen waren, daß die Existenz des polnischen Bevölkerungsteils in Frage gestellt war, erwies sich der ab 1940 im Schloß residierende NS-Gauleiter Arthur Greiser als "Exponent des Terrors" gegen alles Polnische.

Zwar zeigen Schwendemann und Dietsche gewisse Kontinuitäten einer "germanischen Hybris" auf, aber letzlich bleiben keine Zweifel daran, daß sich die weitgehend erfolglose Germanisierungspolitik des Kaiserreiches grundlegend vom Rassenwahn des Dritten Reiches unterschied.

Der für das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert in ganz Europa prägende nationalistisch-imperialistische Zeitgeist bleibt zwar ausgeblendet, dennoch ziehen die Verfasser einen überzeugenden Schluß: "Trotz aller staatlichen Repressionsmaßnahmen war das Kaiserreich ein Rechtsstaat und bot seinen Staatsbürgern, die sich zur polnischen Nationalität bekannten (rund 3,5 Millionen) Rahmenbedingungen, die weitaus besser ausfielen als in Kongreßpolen" sowie - mit Einschränkungen - im österreichischen Galizien. Kein Wunder, so fahren sie fort, "daß die Provinz im Kaiserreich zum entwickeltsten Teil Polens wurde".

Zu den Stärken des Buches gehören der breite Ansatz, der die Architekturgeschichte des Schlosses in die Geschichte von Stadt und Land einbettet, die hervorragende Bebilderung und die Berücksichtigung vieler unbekannter Episoden, etwa über die "polenfreundliche Politik" der deutschen Militärverwaltung im 1915 eroberten Kongreßpolen oder zur deutschen Polenpolitik der Zwischenkriegszeit.

Was den inhaltlichen Kern, also den Umbau des komplett ausgestatteten wilhelminischen Schlosses zu einem der wichtigsten erhalten gebliebenen Demonstrationsobjekte nationalsozialistischer Architektur betrifft, muß man wissen, welchen außerordentlichen Rang dieses Projekt haben sollte.

Neben dem "Berghof" auf dem Obersalzberg, dem Münchner "Führerbau" und der Neuen Reichskanzlei in Berlin war es als vierte "Führerresidenz" geplant und wurde noch bis Juli 1944 mit großem Aufwand umgebaut. Alle anderen repräsentativen Bauvorhaben des Dritten Reiches waren bereits 1942 gestoppt worden.

Neben Albert Speer und den federführenden Architekten Böhmer und Michaelis nahm Hitler selbst Einfluß auf die Arbeiten, doch ebenso wie Wilhelm II. hat auch er die für ihn vorbereiteteten, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee nahezu fertig eingerichteten Räume im Posener Schloß nie genutzt.

Da der Bau im Krieg nur äußerlich beschädigt wurde und die Polen ihn weitgehend unverändert verwendeten (heute u. a. für Theater, Kinos und Ausstellungen) bekommen Besucher einen tiefen Einblick in Hitlers einzige erhalten gebliebene Residenz.

Heinrich Schwendemann/Wolfgang Dietsche: Hitlers Schloß. Die ‚Führerresidenz in Posen, Christoph Links Verlag, 200 S., geb., zahlr. Abb., Berlin 2003, 34,80 Euro
 
     
     
 
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