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Die Sucht nach Harmonie ist in der CDU ungebrochen. Da haben die Christdemokraten eine Spendenaffäre ohnegleichen hinter sich; Altkanzler Helmut Kohl hat den Ehrenvorsitz niederlegen müssen und sein Nachfolger im Parteiamt, Wolfgang Schäuble, das Handtuch geworfen. Und schon heben die Delegierten des Essener Bundesparteitages die bisherige Generalsekretärin Angela Merkel mit 95,4 Prozent Zustimmung in den Sattel.
Die CDU betritt damit Neuland unter den Volksparteien. Erstmals wird eine große politische Kraft in Deutschland von einer Frau geführt. Und erstmals steht eine Politikerin aus der Ex-DDR an der Spitze einer Bundestagspartei. Im Berliner Kanzleramt suchen Gerhard Schröders Medienmanager bereits seit Wochen nach Wegen, wie die alte Tante SPD gegen die jugendlich-weibliche CDU in Stellung gebracht werden kann. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering fiel nicht viel zur Wahl von Frau Merkel ein: Wenn der Chef der SPD-Parteizentrale davon sprach, Frau Merkel habe über viele Sachen gesprochen, aber nicht zur Sache, dann klingt das nach Pfeifen im Walde.
Besonders überraschend war für viele Beobachter des Parteitages, wie Frau Merkel durch eine mit sechs Minuten Beifall bedachte Rede alle bisher an ihr geübte Kritik, sie könne den bürgerlich-konservativen Bereich nicht abdecken, beiseite räumen konnte. So legte sie ein klares Bekenntnis zu Heimat und Nation ab: "Unser Herz schlägt nicht links. Unser Herz schlägt für Deutschland und Europa." Aber auch in der Europapolitik ging die neue CDU-Chefin auf die bisher an der Partei geübte Kritik ein und suchte besonders den Schulterschluß mit der europakritischen bayerischen Schwesterpartei CSU: Die CDU sage nein zum Brüsseler Zentralismus und ja zu einem "Europa der Regionen, der Vielfalt und der Bürger".
Zu Irritationen vor dem Parteitag hatten kritische Äußerungen des scheidenden Vorsitzenden Wolfgang Schäuble geführt. Schäuble hatte seinem Unmut über Altkanzler Helmut Kohl und die Behandlung der Spendenaffäre mit deutlichen Worten Luft gemacht. Doch der ehemalige Parteichef hielt sich an die Räson: Von ihm gebe es "keinen Blick zurück im Zorn", sagte er und vermied jeden Hieb gegen Kohl und andere seiner parteiinternen Kritiker. Damit war der Debatte über die Spendenaffäre die Spitze genommen; für die weitere Aufarbeitung und Aufklärung der Spendenaffäre war auf dem Essener Parteitag aber ohnehin keine große Neigung mehr festzustellen. Die CDU hatte vielmehr Sehnsucht nach der Stallwärme, für die Helmut Kohl während seiner Regierungszeit stand und die man jetzt auch von der neuen Vorsitzenden Merkel erwartet.
Doch lassen die weiteren Ergebnisse zum CDU-Präsidium erkennen, daß die personelle Umstrukturierung der Partei auch in den nächsten Jahren weitergehen dürfte. Allein die wiedergewählte stellvertretende Vorsitzende Annette Schavan, Kultusministerin in Baden-Württemberg, konnte mit 87,98 Prozent ein Traumergebnis einfahren. Ein kleines Debakel erlebte dagegen der nordrhein-westfälische Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Jürgen Rüttgers, der ebenfalls als stellvertretender Parteivorsitzender kandidierte: Er bekam 74,82 Prozent ein deutliches Zeichen dafür, daß viele Delegierte daran zweifeln, daß Rüttgers die Wahl im größten Bundesland gewinnen kann. Der Dämpfer dürfte für den Rest des Wahlkampfes entsprechende Wirkung haben. Zwei weitere Stellvertreter, die zur Wiederwahl anstanden, werden ebenfalls noch lange über ihr Wahlergebnis nachdenken: Der zweimalige Wahlverlierer in Niedersachsen, Christian Wulff, bekam nur noch 62,07 Prozent. Und der gescheiterte Spitzenkandidat von Schleswig-Holstein, Volker Rühe, erhielt mit 58,55 Prozent Zustimmung sogar die rote Laterne im Präsidium. (Unabhängig davon: BdV-Präsidentin Erika Steinbach wurde mit 69,9 Prozent gewählt.) Hinter den schlechten Zahlen verbirgt sich die alte Erkenntnis, daß in der CDU nur der Erfolg zählt und Wahlverlierer nicht geliebt werden. Diese Botschaft kann sich auch Frau Merkel bereits merken. Bleibt ihr der Erfolg versagt, geht die Zustimmung der eigenen Partei in den Keller.
Aber hinter den schlechten Zahlen für die Stellvertreter, die alle keinen Gegenkandidaten hatten, verbirgt sich auch eine politische Aussage der Basis: Keiner aus der Riege hinter Merkel steht für eine dezidiert konservative Position. Und solch ein Kandidat hat gefehlt, so daß Frau Merkel, wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch ganz richtig sagte, die ganze Bandbreite der Partei von linker Mitte bis zum rechten demokratischen Rand abdecken muß. Der Spagat gleicht einer Herkulesaufgabe.
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