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Die Irrfahrt der Maria

 
     
 
Spricht der Hamburger vom Dom, dann meint er meist das zweimal jährlich stattfindende Volksfest auf dem Heiligengeistfeld mit seinen Buden und Fahrgeschäften. Seit einigen Wochen allerdings hat sich der Begriff "Dom" bei vielen Hanseaten wieder auf die Bischofskirche reduziert, die einst auch die Hansestadt schmückte. – Dort übrigens, an den Mauern des Hamburger Doms, standen auch die vielen kleinen Verkaufsbuden der Händler, die mit dem Abriß des Gotteshauses 1805/06 ebenfalls weichen mußten, später aber auf dem Jahrmarkt "Wiederauferstehung
" feierten. – Der Grund für die Erkenntnis, daß "Dom" eben nicht nur Vergnügen sondern auch Besinnung bedeutet, liegt zweifellos in einer Ausstellung, die noch bis zum 5. März in der Hamburger Kunsthalle (dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr) zu sehen ist.

"Goldgrund und Himmelslicht – Die Kunst des Mittelalters in Hamburg" ist ein gemeinsames Projekt der Kunsthalle mit dem Museum für Hamburgische Geschichte, dem Museum für Kunst und Gewerbe, der Staats- und Universitätsbibliothek und des Staatsarchivs Hamburg. Leihgaben aus aller Welt, von Kopenhagen bis New York, ergänzen die eigenen Bestände. Und so erwarten den Besucher über 100 Exponate in 14 Räumen: Altartafeln, Heiligenbilder, Skulpturen aus Stein oder Holz (darunter eine Skulptur des hl. Ansgar aus der Werkstatt um Bernt Notke, der aus dem vorpommerschen Lassan stammte und zu den bedeutendsten Künstlern seiner Zeit im norddeutschen Raum zählte), Handschriften, Kruzifixe, Reliquien, feinste Goldschmiedearbeiten und gewaltige Folianten, die mehr als eines Mannes Kraft erforderten, sie zu bewegen. Auch die Ablaßbriefe und Chroniken lassen eine längst vergangene Welt wieder lebendig werden. Selbst die Noten der alten Gesangbücher werden sinnlich erfahrbar, erklingen doch im Hintergrund dezent eigens aufgenommene Mariengesänge (im Museumsladen als CD zu erwerben).

Die schlichte Präsentation der wertvollen Exponate, bei deren Anblick der Besucher oft nur staunend fragen kann, wie sie die Wirren der Zeit überhaupt überstanden haben, rückt die sakralen Kunstwerke in den Blickpunkt des Betrachters, ohne daß er von allerlei Schnickschnack abgelenkt wird. Und so kann man die kostbaren Stücke denn auch in vollen Zügen bewundern, etwa den von Meister Bertram 1379/83 geschaffenen Altar für die Hamburger Petri-Kirche, ein besonderer Schatz aus den Beständen der Kunsthalle. Alfred Lichtwark, der erste Direktor des Hauses, hatte den barock übermalten und verschollen geglaubten Altar einst wiederentdeckt und für die Kunsthalle erworben. Als verschollen galt auch der Marienaltar des Hamburger Doms. Vor 500 Jahren von Absolon Stumme geschaffen und nach einer zweijährigen Restaurierung mit Unterstützung durch die Stiftung Denkmalpflege Hamburg und die Hermann Reemtsma Stiftung wieder in voller Pracht erstrahlt, steht der mehrteilige Hauptaltar nun im Mittelpunkt des Interesses.

Der Kunsthistoriker Ralph Knickmeier hatte die vier prächtig bemalten Flügel des Altars mit der Lebens- und Leidensgeschichte Marias 1992 im Keller des Kunstmuseums Lodz entdeckt. Die drei Meter hohen Holztafeln waren vor dem Abriß des Hamburger Doms gerettet worden. Auseinandergesägt gelangten sie in den Besitz des Zeichenlehrers Friedrich Waagen, der sie 1807 mit nach Schlesien nahm. Nach seinem Tod schenkten die Söhne Waagens die Tafeln dem preußischen König zur Ausstattung der Marienburg. Kein ungewöhnliches Geschenk, schließlich war Maria die Schutzpatronin des Deutschen Ordens. In der Marienburg wurden die Tafeln auch aufgestellt – bis 1945, als die Polen auch von der Burg und dem Inventar Besitz ergriffen. Die Kunstwerke gelangten nach Warschau, schließlich nach Lodz. Nach Ende der Ausstellung sollen sie ins Nationalmuseum nach Warschau gebracht werden; eine Entscheidung, die von vielen Kunstfreunden mit Unverständnis begleitet wird, fragt man sich doch, warum sie nicht an ihrem historischen Platz in der Marienburg Aufstellung finden können. Das häßliche Wort von der "Beutekunst" würde dann kaum zu hören sein.
Peter van Lohuizen

 
     
     
 
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