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Seit nunmehr 80 Jahren führen die Ladiner einen verzweifelten Kampf um die Anerkennung als selbständige Volksgruppe und für die Vereinigung aller Ladiner der fünf Dolomitentäler in einer eigenen Ladinerprovinz. In der im Oktober 1918 in Sterzing verfaßten Proklamation der Ladiner findet sich dies erstmals enthusiastisch formuliert: "Wie die übrigen Völker Österreichs verlangen auch wir, die älteste bodenständige Bevölkerung Tirols, das Selbstbestimmungsrecht. Wir sind keine Italiener und wollen auch in Zukunft keine Italiener sein. Das Schicksal der Deutsch-Tiroler sei auch unser Schicksal".
Der Grund für den Notruf: Die Ende des Jahrhunderts hochgekeimten Hoffnungen auf einen engeren Zusammenschluß der Volksgruppe hatten sich mit den politischen Folgen des "Friedensschlusses" des Ersten Weltkrieges jäh zerschlagen: Tirol südlich des Brenners fiel an Italien, und die Ladiner, vom politischen Wien gerne als Italiener eigener Art bezeichnet, sahen in den neuen Herren häufig mehr die ehemaligen Kriegsgegner als die sprachlich und kulturell Verwandten.
Aber die Bewohner der "Kinder der bleichen Berge", wie die Dolomiten in alten ladinischen Sagen genannt werden, blieben ungehört, und die Brennergrenze wurde durchgesetzt. Wie im übrigen Südtirol marschierten die Italiener auch in den Dolomitentälern ein, Italienisch wurde die offizielle Sprache.
Nur für die in der heute autonomen Provinz Bozen lebenden Ladiner sind die Forderungen weitgehend erfüllt worden. Zwar genießen auch die Ladiner im Fassatal, wo sie etwa 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, mittlerweile besondere Rechte, doch für ihre Nachbarn in den zur Provinz Belluno gehörenden Tälern von Buchenstein und Ampezzo mit Colle S. Lucia hat sich seither nichts geändert.
Sofort nach der Machtergreifung begannen die Faschisten, die älteste Alpenkultur zu zerschlagen, "den grauen Fleck auf der Landkarte Italiens" auszumerzen, wie es der italienische Faschist Ettore Tolomei glühend verkündete. Ladinien wurde in drei italienische Provinzen aufgeteilt: Gröden und Abtei blieben bei Bozen, das Fassatal kam zu Trient, Buchenstein und Ampezzo mit Colle S. Lucia ging an Belluno. Erst als Mussolini Hitler 1939 die Lösung des Südtirol-Problems verweigerte, galten die Ladiner plötzlich wieder als "Fremdstämmige".
Nach dem Zweiten Weltkrieg blockierte der italienische Außenminister De Gasperi erneute Versuche der Einung der ladinischen Täler. Nachdem dann im Pariser Abkommen von 1946 die Ladiner wie auch schon zuvor im Vertrag von St. Germain unerwähnt blieben, kam mit dem Sonderstatut für das Trentino-Tiroler Etschland erstmals Bewegung in die Fronten. Im Artikel 87 etwa ist die Rede von ladinischem Unterricht in den Volksschulen oder der Kultur der Ladiner im allgemeinen. Anfang der 50er Jahre zeigte sich ein zweiter Silberstreif am Horizont: Neben der deutschen und der italienischen wird die ladinische Bevölkerung erstmals als eigenständige Volksgruppe anerkannt, allerdings nur in der Provinz Bozen. Das Eis brach zögerlich. Mit dem "Sonderstatut für die Region Trentino-Südtirol" von 1972 erhielten auch die Ladiner des Fassatales besondere Rechte. Es sollte allerdings noch bis in die 90er Jahre dauern, bis in dieser Region der ladinische Schulunterricht, die ladinische Sprache in den Kindergärten und bei den Verwaltungen obligatorisch wurden. Für das Fassatal und St. Martin im Gadertal entstanden Kulturinstitute. Die Bemühungen der Provinz Belluno für die Ladiner beschränkten sich indes einzig auf einen Erlaß eines Landesgesetzes zur Finanzierung ihrer kulturellen Tätigkeiten. Als Sprachgruppe werden diese bis heute nach wie vor nicht anerkannt.
Vor den nationalen sind längst auch die wirtschaftlichen Interessen übermächtig geworden, denn die Täler speien Goldstücke, auf die das hochverschuldete Italien nicht verzichten möchte: für die Region Veneto mit der Provinz Belluno in Form des renommierten Wintersportortes Cortina d Ampezzo und für Trient mit den Touristenzentren Vigo, Campitello und den Dolomitenbergen Rosengarten und Latemar, Plattkofel, Sella oder Marmolata.
Dieser Tage nun wurde erstmals das Autonomiestatut für Südtirol geändert, und zwar zugunsten der rund 40 000 Ladiner. Damit wird ihnen jetzt der Zugang zu den höchsten Ämtern in Landesregierung, Landtag, Regionalregierung und Regionalrat geebnet. Die Ladiner des Trentino bekommen einen eigenen Wahlkreis, der Minderheitenstatus der Fersentaler und der Zimbern wird in den Verfassungsrang gehoben. Vielleicht ein erster wirklicher Schritt zur Rettung der ältesten Sprache und Kultur der Alpen und auch ein Wink an Polen, Tschechen, Russen und Bonner, eine ähnliche Lösung für die Deutschen in den Ostgebieten anzustreben.
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