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Das Volk will Bier

 
     
 
Seit einigen Jahren schon wird über die sogenannte "Politikverdrossenheit" palavert. Als noch Geld in den öffentlichen Kassen war, konnten sich die Regierenden die Zustimmung der Wähler "kaufen". Politiker rätseln, wie dem Übel der zunehmenden Abstinenz des Wahlvolkes in Zeiten leerer Kassen beizukommen sei. Muß die CDU nicht sozialer werden, fragt der Rüttgers-Müller-Flügel in der Union. Sollte sich die SPD nicht stärker den gern beschworenen "Leistungsträgern" und Mittelschichten zuwenden, fragen Sozialdemokraten, die sich für modern halten. Eine Lösung muß her. Und die ist so bestechend einfach, daß es verwundert, warum noch niemand auf diese Lösung gekommen ist. Unsere Parlamentarier müssen lernen, wieder mehr Bier zu trinken. Denn seit sich selbst in der Wolle gefärbte Sozialdemokraten oder Sozialist
en für alles Rote nur dann begeistern können, wenn es sich um einen guten und vor allem teuren Wein handelt, geht es mit der Politik in diesem Land bergab.

Der britische Wissenschaftsredakteur Tom Standage, der unter anderem für den renommierten "Economist" arbeitet, hat ein Buch vorgelegt, das die hier aufgestellten Thesen unterstützt. Es heißt "Sechs Getränke, die die Welt bewegten" und ist so süffig wie ein frisch gezapftes Pils. Wasser, so lesen wir, war seit dem Auftauchen der Menschheit das Hauptgetränk dieser Spezies. Der Mensch besteht zu zwei Dritteln aus Wasser. Das andere Drittel besteht bei figurbetonten Blondinen bekanntlich aus Salat, bei gestreßten und unsolide lebenden Rezensenten meist aus Kaffee, Würstchen, Frikadellen und partiellen Anmutungen von Größenwahn.

Doch im Wasser schwamm oft allerlei herum, was in der Volvic- oder Vittel-Flasche heute mit Sicherheit nicht zu finden ist. Glücklicherweise wurde im Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes das Bier entdeckt. Das ist ungefähr die Region, die Teile der heutigen Staaten Ägypten, Syrien, Türkei und Irak umfaßt. Schon bald stand fest: Brot ist festes Bier, Bier flüssiges Brot. Da Bier mit kochendem Wasser hergestellt wurde, war es gesundheitlich unbedenklicher als Wasser, das leicht durch Fäkalien verunreinigt wurde. Und Bier bot das lebenswichtige Vitamin B, von dem doch eigentlich auch heutige Politiker nicht genug bekommen können.

Daher wußten die alten Ägypter schon um 2200 vor Christus: "Der Mund eines vollkommen zufriedenen Mannes ist mit Bier gefüllt." Daß dies stimmt, wissen wir spätestens seit dem denkwürdigen Werbespot mit Rudi Assauer, der das leckere "Veltins" aus dem Sauerland der sich verführerisch räkelnden Gattin vorzieht. Bier war das Hauptgetränk der ersten Hochkulturen der Menschheit: "In Mesopotamien betrachteten die Leute also den Genuß von Brot und Bier als etwas, das sie von den Wilden unterschied und sie erst zu Menschen machte."

"Bier begleitete die Ägypter und Mesopotamier von der Wiege bis zum Grab", schreibt Standage. Und noch heute sei Bier in vielen Teilen der Welt nach wie vor das "Hauptgetränk des Arbeiters". Doch insbesondere für diese Bevölkerungsschicht scheint sich der SPD-Vorsitzende Kurt Beck nicht mehr zu interessieren. Er flirtet lieber mit den Liberalen und will die Mittelschichten verstärkt ansprechen. "Damit ist das Ende der Volkspartei SPD unwiderruflich eingeläutet", meint der Politologe Walter. Wen wundert s, daß Herr Beck aus Rheinland-Pfalz stammt, wo das Küssen von Weinköniginnen als Ausweis höchster Regierungskunst gilt. Der Wein war schon früh Symbol von Macht, Wohlstand und gesellschaftlichem Rang. Standage verfolgt den Siegeszug des Rebensaftes in Griechenland und Rom. Wein konnten sich über lange Zeit nur die Reichsten leisten: "Das einfache Volk begnügte sich mit Bier." Wein blieb ein "Privileg der Oberschicht" und wurde mit Kultur und feiner Lebensart assoziiert. Die südländischen Völker fühlten sich den "Barbaren" im Norden überlegen. Wohin das auf lange Sicht führt, illustriert ein aktueller Wirtschaftsvergleich. Die biertrinkenden Engländer, Iren oder Skandinavier stehen wirtschaftlich sehr gut da, während Italiener und Griechen weiterhin Wein vorziehen und damit den ökonomischen Niedergang. Und Bayern weist die meisten Brauereien in Deutschland auf. Muß man noch mehr sagen?

Tom Standage: "Sechs Getränke, die die Welt bewegten", Artemis & Winkler, Düsseldorf 2006. 270 Seiten, 19
 
     
     
 
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