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Die Mutter aller Reformen

 
     
 
Difficile est saturam non scribere; es ist schwer, (darüber) keine Satire zu schreiben - als Juvenal diese geflügelten Worte niederschrieb, hatte er noch keine Ahnung von den Schwierigkeiten eines Journalisten, der rund 19 Jahrhunderte nach dem römischen Dichter deutsche Politik zu kommentieren hat. Denn was da Tag für Tag in Berlin abgeht, ist als Realsatire nicht mehr steigerungsfähig; insofern ist jeder Versuch, darüber eine Satire zu schreiben, zum Scheitern verurteilt - nähern wir uns also, trotz der von Juvenal vorausgesagten Beschwernisse, Schröders gesammeltem Gemurkse auf halbwegs seriöse Weise.

Da wird uns neun Monate lang die "Agenda 2010" angepriesen als ein Reformwerk, das auf dem soliden Fundament alttestamentlicher Wahrheiten weit in die Zukunft weist: Der Kanzler schenkt Deutschland sieben fette Jahre! Aber was dann kurz vor Weihnachten von den parlamentarischen Gremien letztlich ausgebrütet wird, wäre eher ein Fall für Loriot, den Großmeister der zeitgenössischen Satire, der hier seine umwerfende "Rezension" des amtlichen Kursbuchs der Deutschen Bundesbahn fortschreiben könnte.

Nehmen wir als Beispiel die Bundestagsdrucksache 15/1515 (Entwurf eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt), eingebracht von den Koalitionsfraktionen der SPD und der Grünen, mit geringfügigen Änderungen durch den Bund-Länder-Vermittlungsausschuß vom Deutschen Bundestag verabschiedet und am 1. Januar 2004 in Kraft getreten. Hier finden wir etwa auf Seite 41 (von 140) ein herrliches Beispiel sprachschöpferischen Schaffens unserer deutschen Volksvertreter: "In § 29 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b wird das Wort "Bundesanstalt
" durch das Wort "Bundesagentur" ersetzt." Eine Formulierung, die gerade durch ihre schlichte Klarheit allen 603 Abgeordneten hinreichend Möglichkeit zur literarischen Selbstverwirklichung gibt. So wird denn das Wort "Bundesanstalt" allein auf dieser Seite 26mal durch das Wort "Bundesagentur" ersetzt. Wer mehr auf Abwechslung erpicht ist, sei auf den fünfmaligen Ersatz des Wortes "Arbeitsämter" durch die Wörter "Agenturen für Arbeit" verwiesen. Vollends auf den Punkt gebracht wird das Reformprojekt Agenda 2010 freilich schon auf Seite 8: "§ 3 wird wie folgt geändert: cc) In Nummer 11 wird der Punkt durch ein Komma ersetzt." Erst ganz am Schluß, etwa ab Seite 122, streifen die Autoren die Fesseln klassischer Literaturkritik ab und konzentrieren sich auf das Wesentliche, nämlich die zigfach wiederholte Aussage "Folgeänderung zur Änderung des § xyz..."

Natürlich steht in diesen Reformgesetzen hier und da auch wirklich Substantielles. Aber das muß man, zwischen all diesen Sprachmüllbergen, mühsam suchen. Wenn man sich endlich durch die Papierflut hindurchgewühlt hat (ich habe bei 500 aufgehört mitzuzählen, wie oft "Anstalt" durch "Agentur" ersetzt wird), dann wundert man sich jedenfalls über nichts mehr. Nicht über Manfred Stolpes Maut-Debakel, nicht über Ulla Schmidts Gesundheitsreform-Chaos, nicht über so offensichtlichen Unfug wie die Ausbildungsplatzabgabe (gegen den erklärten Willen des zuständigen Ministers Clement!), nicht über das ausufernde Beraterunwesen. Und auch nicht über Gerhard Schröders Zickzack-Kurs in Sachen Pflegeversicherung (Blüms späte Rache).

Übrigens: Seit Inkrafttreten der Reformgesetze hat man nichts mehr gehört vom segensreichen Wirken der neuen "Bundesagentur" - um so mehr aber vom unseligen Intrigenspiel ihrer Führungsriege. Unter dem neuen Namen gibt es in Nürnberg nicht weniger Arbeitslose, sondern einen mehr. Der Mann heißt Florian Gerster und war wohl irgendwie schlecht beraten ...
 
     
     
 
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