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Die Qual nach der Wahl

 
     
 
Wer zahlt, schafft an - diese ebenso alte wie simple Weisheit umschrieb der Kanzler und SPD-Vorsitzende mit den Worten, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Bundeshauptstadt sei „eine Sache auf Gegenseitigkeit“. Im Klartext: Der alte und neue Regierende Bürgermeister von Berlin, der statt einer Regierungserklärung eigentlich eine Bankrotterklärung abgeben müßte, braucht dringend Geld, und das kann er nach Lage der Dinge nur von der Bundesregierung bekommen. Daher muß er sich Koalitionspartner aussuchen, die dem Großen Bruder im Kanzleramt ins Konzept passen.

Schlechte Karten also für Rot-Rot. Die aktuelle weltpolitische Lage
läßt ein Regierungsbündnis mit der PDS derzeit nicht opportun erscheinen. Die SED-Fortsetzungspartei hat sich in Sachen Terrorismusbekämpfung national und international ins Abseits gestellt; auf der nach allen Seiten offenen Skala zwischen blankem Antiamerikanismus und treudeutscher Un- terwürfigkeit sind Schröder und Gysi zu weit voneinander entfernt, als daß man sie sich gemeinsam in einem Boot vorstellen könnte. Insofern haben die Terroristen vom 11. September dem SPD-Chef die rot-rote Koalitions-Tour vermasselt.

Ob allerdings der Druck aus dem Kanzleramt ausreicht, um die Ampel auf „Freie Fahrt“ zu schalten, ist keineswegs gewiß. Die SPD kann dank kräftiger Stimmengewinne Selbstbewußtsein demonstrieren, die FDP (mit einer Vervierfachung ihres letzten Wahlergebnisses) erst recht. Und selbst die zuletzt so arg gebeutelten Grünen können den Rückgang um 0,8 Prozentpunkte als Erfolg feiern. So sieht jeder der drei möglichen Partner sich in seinen programmatischen Kernaussagen vom Wähler bestätigt, was nicht gerade die Kompromißbereitschaft fördert - gerade zwischen FDP und Grünen aber scheinen die Unterschiede fast unüberbrückbar. Es sei denn, die Machtbesessenheit übertüncht alle anderen Erwägungen. Dies ist am ehesten von den Grünen zu erwarten - sie werden so manche liberale Kröte schlucken, nur um ein paar lukrative Regierungspöstchen zu ergattern.

Die FDP kann sich immerhin darauf berufen, daß es ihr vorrangiges Ziel ist, eine Regierungsbeteiligung der PDS zu verhindern. Das war schließlich der Kern ihres Wahlkampfes, und mit 9,9 Prozent (nach zuletzt 2,2) haben die Wähler dies auch eindrucksvoll honoriert. Der Wählerauftrag ist klar, die Liberalen dürfen jetzt nicht kneifen.

Für die CDU stellen sich solche Fragen erst gar nicht. Sie hat schon viel früher gekniffen. „Keine Rote-Socken-Kampa-gne“, „keine Ausgrenzung“, „keine Wählerbeschimpfung“, „keine Spaltung in Wessis und Ossis“: Schon zum Auftakt des Wahlkampfes machten Berlins Christdemokraten vorzugsweise klar, was sie alles nicht wollen - was sie wollen, blieb dem interessierten Publikum weitgehend verborgen. Warum man „rote Socken“ nicht „Rote Socken“ nennen soll, warum man die Partei der Mauermörder nicht aus dem demokratischen Spektrum ausgrenzen soll, dazu wurde konservativen Wählern nichts gesagt. Der Absturz von 40,8 auf jämmerliche 23, 7 Prozent war die Quittung. Da ist es fast schon unmöglich, keine Satire zu schreiben: Weiter so, CDU! Demnächst feiern wird den gerade noch geschafften Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde!

Die Hauptstadt-CDU: bald nur noch eine ehemalige Volkspartei? Im Ostteil der Metropole (bis vor elf Jahren war das immerhin die „Hauptstadt der DDR!) hat sich bereits die PDS als neue Volkspartei etabliert. Bei allem Verständnis für die sozialen und psychischen Verwerfungen von vier Jahrzehnten kommunistischer Diktatur - man wird der Frage nicht ausweichen können: Was ist das für ein „Volk“, das da der SED/PDS ein Ergebnis beschert hat, wie es früher ohne Manipulation und Wahlbetrug nicht vorstellbar war! Die Zeit des Alles-Erklärens, Alles-Verstehens und Alles-Entschuldigens ist spätestens mit diesem Wahltag abgelaufen; die Bürger im „Beitrittsgebiet“ (wohlgemerkt: Am 3. Oktober 1990 ist die DDR der Bundesrepublik Deutschland und ihrem Grundgesetz beigetreten, nicht etwa umgekehrt), die damals „Beigetretenen“ also müssen sich schon einige deutliche Worte gefallen lassen, was ihr Wahlverhalten betrifft.

PDS-Vorturner Gysi hat mit den deutlichen Worten keine Probleme. Wer ihn noch von der Macht fernhalten will, ist ein „Kalter Krieger“ - schließlich haben ihn im Osten ja 48 Prozent gewählt. Die 52 Prozent, die ihn nicht gewählt haben, kommen schon gar nicht mehr vor. „Was Mehrheit ist, bestimme ich“ - das kommt uns sehr bekannt vor.

 
     
     
 
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