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Während in Deutschland Rot-Grün den langfristigen Ausstieg aus der Atomenergie geplant und teilweise umgesetzt hat, und auch in anderen Ländern die Weiterentwicklung atomarer Energieerzeugung nach Tschernobyl weitestgehend aufgegeben wurde, hat Rußland das Vertrauen in seine Nukleartechnik nicht verloren. Im Gegenteil, Rußland setzt auf Atomenergie als Alternative zur Ausbeutung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Gas und Öl. Die Regierungspartei "Einheitliches Rußland" unterstützt die Weiterentwicklung der Atomenergie seit Jahren. Es ist geplant, die Energieversorgung mittelfristig durch den Bau neuer Kernkraftwerke zu sichern. Einmalig in der Welt ist der Plan, auch den Bau schwimmender Atomkraftwerke voranzutreiben. Die Idee dazu stammt von amerikanischen Reißbrettern. Anfang der 80er Jahre gab man dort das Projekt aber wegen der hohen Kosten von 180 Millionen Dollar und Umweltbedenken wieder auf.
In Sewerodwinsk am Weißen Meer hat nun der staatliche Atomkonzern "Rosenergoatom" nach jahrelanger Vorplanung einen Vertrag für den Bau des ersten schwimmenden Atomkraftwerks der Welt unterzeichnet. Die ortsansässige Werft Sewmasch, in der sonst Atom-U-Boote vom Stapel laufen, erhielt den Auftrag. Bis 2010 soll das 330 Millionen Dollar teure schwimmende Atomkraftwerk fertiggestellt sein. "Seinerzeit haben sowohl die USA als auch China Anstrengungen unternommen, die Patente und die Rechte an diesem Projekt zu erwerben, es ist sehr gut, daß Rußland als erstes Land dieses Projekt realisieren wird," verkündete stolz Nikolaj Kiselew, Gouverneur des Archangelsker Gebiets, nach Vertragsunterzeichung. Rußland behauptet mit dem ehrgeizigen Projekt seine Vorreiterrolle in Sachen Atomenergieentwicklung und nicht zuletzt auch seine Stellung als Weltmacht.
Bei dem "schwimmenden Atomkraftwerk" handelt es sich um einen auf einer Art Schwimmplattform aufgebauten Schiffsrumpf, in dem zwei modifizierte Leichtwasserreaktoren des Typs KLT-40 S mit einer Leistung von 70 Megawatt zum Einsatz kommen sollen, die zwei Dampfturbinen und zwei Turbogeneratoren antreiben. Diese Reaktortypen versorgen seit Jahren die russischen Eisbrecher mit Energie, so daß die Atombehörde sich bezüglich der Zuverlässigkeit in Sicherheit wähnt.
Das noch namenlose Atomkraftwerk wird eine Länge von 144 Metern und eine Breite von 30 Metern haben, es soll eine Wasserverdrängung von 21500 Tonnen haben. Zu den jeweiligen Einsatzorten muß die Miniatomanlage geschleppt werden, da sie nicht über eigene Schiffsmotoren verfügt.
Die Energieversorgung soll folgendermaßen funktionieren: In den entlegenen Gegenden vor allem im Norden Rußlands, wo es aufgrund der gestiegenen Transportkosten für die herkömmliche Verteilung von Öl, Gas oder Kohle über Land nur eine unzureichende Energieversorgung gibt, wird das schwimmende Atomkraftwerk vor der Küste ankern und Orte versorgen, die einen Vertrag mit Rosenergatom abgeschlossen haben. Die Abnehmer erhalten Strom und Fernwärme. Neben der Energieerzeugung kann das schwimmende Kraftwerk auch zur Entsalzung von Meerwasser genutzt werden. Vor allem in Regionen Südost-Asiens, Afrikas und Australiens besteht Nachfrage nach solchen Anlagen. Im Bereich "Süßwasserbereitung" rechnen die Entwickler
des Miniatomkraftwerks mit weiteren Aufträgen. Ab 2015 wird voraussichtlich ein weltweiter Mangel an Süßwasser auftreten, für dessen Ausgleich bis zu zwölf Milliarden Dollar jährlich aufgebracht werden müssen. Ein Atomkomplex könnte eine Stadt mit einer Million Einwohnern täglich mit 200000 bis 400000 Kubikmeter Süßwasser versorgen.
Die Lebensdauer des Kernkraftwerks schätzen seine Planer auf 40 Jahre, alle zwölf Jahre muß es generalüberholt werden.
Bis dahin werden sich die hohen Produktionskosten jedoch amortisiert haben. Atommüll wird nach den Versprechungen der russischen Unternehmen so gut wie nicht anfallen, da die abgenutzten Uranbrennstäbe recycelt werden.
Zunächst wird der Prototyp im Norden Rußlands zum Einsatz kommen, in den Städten entlang der Weißmeerküste, Sewerodwinsk (Archangelsker Gebiet), Dudink (Taimir), wie auch im Gebiet Kamtschatka. In den kommenden Jahren sollen laut Empfehlung der Experten weitere zehn schwimmende Mini-Atomkraftwerke gebaut werden.
Um den zu erwartenden Protesten von Umweltschützern den Wind aus den Segeln zu nehmen, stellte Rosenergoatom-Chef Sergej Obosow die verschärften Sicherheitsmaßnahmen heraus, unter denen schon die atombetriebenen Eisbrecher zum Einsatz kommen. "Zuverlässig wie eine Kalaschnikow", beschreibt Obosow die Technik mit einem waghalsigen Vergleich. "Ein Tschernobyl auf See wird es nicht geben", versicherte auch der Vorsitzende der russischen Atomenergiebehörde Rosatom, Sergej Kirijenko. Einen zweiten GAU wie den vor 20 Jahren will Rußland auf keinen Fall riskieren. Eine Doppelwandkonstruktion aus Stahl mit zahlreichen Sicherheitsschotten und Luftkammern soll sogar den Aufprall eines Flugzeugs auf das schwimmende Kraftwerk aushalten und einen Austritt von Strahlen verhindern können. Eine vom russischen Staat in Auftrag gegebene Expertise bescheinigt darüber hinaus Sicherheit bei einem Erdbeben oder Tsunami.
Außerdem soll die Anlage unsinkbar sein.
Kritische Umweltschützer jedenfalls haben kein Vertrauen zur russischen Atomenergie, weil es bereits - entgegen den Beteuerungen der Verantwortlichen - zu zahlreichen Störfällen auf russischen Atombooten gekommen sein soll, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren habe.
Schwimmende Kernkraftwerke geplant: U-Boote mit Atomantrieb gelten als Vorbild des neuen russischen Projektes. |
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