A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Eigentor

 
     
 
Vielen Deutschen geht es wie dem Dichter Heinrich Heine, der einst schrieb, daß Deutschland ihn mitunter um den Schlaf bringe. Zwar wächst die Wirtschaft, aber die Zahl der Arbeitslosen und Wirtschaftsflüchtlinge sinkt nicht oder nur wenig; zwar ist die Inflation niedrig, aber die Rentenerhöhungen sind noch niedriger; zwar geht die Zahl der Autodiebstähle zurück, aber bei sechs Millionen Straftaten
pro Jahr will einfach kein Gefühl der Sicherheit aufkommen. Führende Politiker boxen eine Schreibreform durch, während sie den Verfall von Tugenden und der Werteordnung achselzuckend hinnehmen. Einen ficht aber dies alles nicht an: Für Kanzler Kohl ist die Lage "höchst erfreulich", "die Menschen erkennen, daß die Reformen wirken". Kohl sieht einen Stimmungsumschwung im Volk zu seinen Gunsten und die SPD mit ihrem Kandidaten langsam in den Sinkflug übergehen. Auch CDU/CSU-Fraktionschef Schäuble sprach auf einer Konferenz zusammen mit Kohl und Waigel von einer "Trendwende". Kohl strotzt wenige Wochen vor der Wahl und trotz aller nach wie vor schlechten Meinungsumfragen vor Siegeszuversicht beziehungsweise Hybris: "Das Bild ist gut, der Mann ist gut, der Slogan ist gut." Der Kanzler spricht – wie sollte es anders sein – über sich selbst und meint speziell das neue CDU-Wahlplakat mit großem Kanzlerporträt und dem Slogan "Weltklasse für Deutschland". Natürlich hat Kohl Anlaß zu Optimismus. Das altgediente Schlachtroß der Unionsparteien hat in den Sommer-Runden des Wettrennens mit Schröder aufgeholt.

Die Sozialdemokraten hatten mit einer beispiellosen Inszenierung bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Wahlkampfes ihre Anhängerschaft mobilisiert und in den Umfragen daher Spitzenwerte eingefahren. Geduldig, wie Kohl bekanntermaßen ist, empfahl er Abwarten: Auch die Gegenseite werde Fehler machen. Allensbach-Demoskopen haben ermittelt, daß die wirtschaftlichen Aussichten von den Wählern positiver beurteilt werden, egal ob dies nun stimmt oder nicht. Dies kommt den Regierungsparteien zugute. Schröder versuchte daraufhin sich selbst zum Vater des Aufschwungs zu erklären und erntete eine schmerzhafte Bauchlandung in Sachen Glaubwürdigkeit. Hinzu kommt die Eigentor-Serie der Grünen, der der Abstieg in die zweite Liga droht.

Noch ist nichts entschieden. Und es ist insbesondere zutreffend, daß sich ein Großteil der bürgerlichen Wähler wegen maßloser Enttäuschung und Empörung über das System Kohl noch keineswegs festgelegt haben. Union und FDP setzen darauf, diese Wähler – wie gewohnt – mit einem rot-grünen Schreckgespenst einfangen zu können. Doch dies könnte, wie Sachsen-Anhalt bewiesen und Bayern mit den Republikanern anzudeuten scheint, auch schiefgehen.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Täglicher Kampf ums Überleben

Überbewertung von Schwulen und Lesben

Im Flüchtlingslager: Aus den Erinnerungen des Dichters Walter Scheffler

 
 
Erhalten:
slogan
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv