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Ein Dankeschön unter Tränen

 
     
 
Wieder einmal stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Unsere Eltern waren verstorben, und es war in diesen Festtagen recht ruhig um uns geworden. Da kam der Gedanke auf, ein Kind aus einem Heim zu uns zu holen. Ein Kollege im Jugendamt bemühte sich, in den umliegenden Kinderheimen ein Kind für uns ausfindig zu machen. Aber da bestand wenig Aussicht. Fast alle Kinder hatten noch Angehörige oder Verwandte, bei denen sie die Feiertage verbringen konnten. In einem Heim für schwererziehbare Kinder gab es jedoch ein zehnjähriges Mädchen, um das sich niemand kümmerte. Es mußte in diesen Tagen allein im Heim bleiben. Aber konnten wir es uns zumuten, ein solches Kind zu uns zu holen, denn wir hatten in der Kindererziehung keine Erfahrung, konnten nur unsere eigene Kindheit als Maßstab anwenden? Andererseits tat uns dieses Mädchen leid.

Kurzentschlossen holte mein Mann das Kind einen Tag vor Heiligabend zu uns. Von der Heimleitung wurden wir darauf hingewiesen, bei dem Kind strenge Maß- stäbe anzulegen und es eventu- ell wieder ins Heim zurückzubringen.

Da stand nun ein kleines, blonde
s Mädchen namens Heidi mit einem Teddy im Arm schüchtern vor mir. Zunächst war da ein vorsichtiges gegenseitiges visuelles Abtasten. So ganz allmählich entstanden dann Vertrauen und Zuneigung.

Wir wollten dem Kind ein wenig von unserer Festtagsstimmung vermitteln. Einige persönliche Wünsche wurden erfüllt. Als die Geschenke dann am Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum lagen, sahen wir glückliche Kinderaugen. Aber das erwartete Dankeschön blieb aus. Heidi konnte das Wort "danke" nicht aussprechen. Ihr Argument war: "Ich kann das nicht." Erst als der Gedanke aufkam, sie am anderen Tag wieder ins Heim zu bringen, kam unter Tränen ein Dankeschön über ihre Lippen. Unsere Erwartungen waren wohl doch zu hoch. Es war nicht einfach, sich in die Psyche eines Kindes hineinzuversetzen, das keine Liebe empfangen hatte. Mit Spielen wurde es dann doch noch ein unterhaltsamer Heiligabend.

Ganz überrascht waren wir jedoch am anderen Morgen, als wir einen gedeckten Kaffeetisch vorfanden. Heidi wollte uns auf ihre Art danke sagen. Wir verlebten dann gemeinsam noch ein sehr schönes Weihnachtsfest. Der Abschied fiel dann nach einigen Tagen auf beiden Seiten schwer. Wir versprachen Heidi, wenn sich bis zu den Winterferien ihre schulischen Leistungen, besonders im Betragen, verbessern würden, könnte sie diese Zeit wieder bei uns verbringen.

Heidi gab sich, zur Freude der Heimleitung, große Mühe. Sie war nun in den Ferien und an jedem Wochenende unser Gast. Wenn sie bei uns war, wechselte sie ihren Familiennamen und auch ihre Kleidung. Sie wollte dann kein Heimkind sein, sondern ganz zu uns gehören. Wenn sie dann wieder zum Bus gebracht wurde, kam sie ganz spontan nochmals zurück, nahm mich in den Arm und sagte: "Ich habe doch im Heim niemand, den ich mal drücken kann, das muß für die ganze Wochen reichen."

Wir verlebten gemeinsam fünf schöne Jahre. Eigentlich hatten wir dann auch vor, Heidi ganz zu uns zu nehmen. Aber durch eine schwere Krankheit meines Mannes mußte dieser Plan aufgegeben werden. Heidi kam zur Berufsausbildung in ein Lehrlingsinternat. Der Kontakt wurde immer seltener. Sie hatte dort Freunde gefunden, auch ihren späteren Ehemann. Nach meiner Übersiedlung aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland brach die Verbindung vollkommen ab. In der damaligen Situation waren Westkontakte nicht erwünscht.

Erst nach der Wende gelang es mir, mit Hilfe von Behörden ihren weiteren Lebensweg zu verfolgen und Kontakt aufzunehmen. Heidi ist verheiratet, hat drei Kinder und auch schon Enkelkinder. Mit der Familie besteht eine sehr intensive persönliche Verbindung. - Wie schön, wenn man einem Kind, welches als schwer erziehbar galt, moralische und ethische Werte vermitteln und eine Orientierungshilfe auf den Lebensweg mitgeben konnte.

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