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Ein Gestalter seiner Zeit

 
     
 
Wieder einmal präsentiert sich ein Bauwerk in Stahlgerüsten und Plastikhüllen, das als eines der prägnantesten Gebäude der Moderne gilt: das Observatorium und astrophysikalische Laboratorium auf dem Telegrafenberg in Potsdam, besser bekannt unter dem Namen Einsteinturm. 1920/21 von dem aus Allenstein stammenden Architekten Erich Mendelsohn
(1887–1953) entworfen, wirkt er – obwohl aus wirtschaftlichen Sparzwängen zum großen Teil in verputztem Mauerwerk ausgeführt – "formal und konstruktiv wie ein Stahlbetonbau", liest man in dem von Vittorio Magnago Lampugnani, langjähriger Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt/Main und jetzt Professor am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich, bei Hatje herausgegeben Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts (vollst. überarb. Neuauflage, 440 Seiten, 606 sw Abb., geb. mit Schutzumschlag, 78 DM). Das Mauerwerk ist denn auch der Grund für die notwendige Sanierung, die etwa drei Millionen Mark kosten wird, zu zwei Dritteln getragen von der Wüstenrotstiftung; den Rest teilen sich das Land Brandenburg und der Bund. Immer wieder dringt Feuchtigkeit in das Gemäuer und läßt den Putz abbröckeln. Nach modernsten Erkenntnissen soll nun in Potsdam dem Zahn der Zeit zu Leibe gerückt werden, die Geschichte des Bauwerks aber ablesbar bleiben.

Der Einsteinturm sicherte Erich Mendelsohn den Einstieg in die Avantgarde; auf einen Schlag wurde der Allensteiner berühmt. Dieses erste Hauptwerk des Architekten "ist eines der prominentesten Beispiele der Architektur seiner Zeit", so die in Berkley lehrende Architekturhistorikerin Kathleen James, die gerade ein Buch über Mendelsohn in englischer Sprache veröffentlichte. Es stelle "die Verschmelzung kontroverser neuer künstlerischer und wissenschaftlicher Ideen zu einem einzigartigen Gebilde dar ..."; nachzulesen in dem jetzt ebenfalls bei Hatje herausgekommenen prachtvollen Band Erich Mendelsohn – Gebaute Welten (Hrsg. Regina Stephan, 344 Seiten mit 343 Abb., davon 25 farbig, geb. mit Schutzumschlag, 128 DM). Wissenschaftler aus aller Welt zeichnen hier ein Bild des Architekten aus Allenstein, das sich an der aktuellen Forschung orientiert; sie zeigen aber auch ein Bild des Menschen Erich Mendelsohn, der 1933 sein Vaterland verlassen mußte. Fotos der fertigen Gebäude und vor allem Entwurfskizzen geben Einblick in das reiche Schaffen des Ostdeutschland, der Bauwerke nicht nur in Deutschland (auch in Königsberg, Tilsit und Allenstein), sondern auch in England, Palästina und in den USA schuf.

Einer seiner wichtigsten Auftraggeber war der Kaufhausunternehmer Salmann Schocken. Dieser Verbindung ist eine Ausstellung in der Stadtbücherei Stuttgart (Konrad-Adenauer-Straße 2; montags bis freitags 11 bis 19 Uhr; sonnabends 10 bis 16 Uhr) gewidmet, die dort bis zum 30. Januar 1999 zu sehen sein wird. Die Herausgeberin der Mendelsohn-Monographie wird dort darüber hinaus in einem Vortrag über "Erich Mendelsohns Kaufhaus Schocken in Stuttgart – von der Skizze zum fertigen Bau" berichten (8. Dezember, 19 Uhr 30). – "Sei Schöpfer, gestalte deine Zeit", hat Mendelsohn bei der Eröffnung des Kaufhauses Schocken in Nürnberg 1926 begeistert ausgerufen. Der Architekt aus Allenstein hat diese Aufforderung selbst wahr gemacht, und noch heute kann man sich an vielen erhaltenen Bauwerken von seiner Gestaltungskraft überzeugen.

 
     
     
 
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