|
Seit einigen Jahren führt mich mein Weg beinahe täglich über die Eger hinweg nach Westböhmen bzw. ins Egerland. Ausgangspunkt ist das "Sechs-Ämter-Land" im Fichtelgebirge, das vor Jahrhunderten einmal Teil des Herrschaftsgebietes der Freien Reichsstadt Eger war.
Noch bis 1945 wurde beiderseits der nassen Grenze, die der Fluß ab dem Städtchen Hohenberg auf ein paar Kilometern bildet, die gleiche Sprache gesprochen. Bis zu jener Zeit war die Grenze nach Böhmen mehr oder weniger durchlässig und wurde kaum als Hindernis wahrgenommen, nicht einmal in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik.
Hohenberg ist also eine Grenzstadt und besitzt mit der sogenannten "Hammer mühle" sogar eine eigene Exklave auf dem linken, böhmischen Egerufer. Dort befindet sich heute ein Grenzübergang für Wanderer und Radfahrer, und zwar gleich hinter der Stelle, an der eine Brücke die Furt überquert und wo einst die Straße nach Eger verlief.
Hinter und neben dem Gartenzaun der "Hammermühle" beginnt für deren Bewohner das Ausland. Bis zum Kriegsende standen in unmittelbarer Nachbarschaft noch zwei von Deutschen bewohnte Ortschaften: Eichelberg und (Böhmisch-) Fischern. Sie ereilte das gleiche Schicksale wie Hunderte andere gleich hinter dem "Eisernen Vorhang" liegende böhmischer Dörfer. Auch sie wurden dem Erdboden gleichgemacht, und an ihrer Stelle entstanden zwei jener neuzeitlichen Wüstungen im Grenzgebiet, die vielleicht einmal das Interesse von Archäologen wecken werden.
Jetzt ist dieser Teilabschnitt entlang der Eger ein Naturschutzgebiet. Auch Markhausen und Rathsam, ebenfalls ehemalige Hohenberger Nachbardörfer, sind nicht mehr existent.
Der wichtigste Grenzübergang in Oberfranken liegt bei Schirnding, wo die Bundesstraße 303 auf tschechischem Gebiet in die Schnellstraße nach Karlsbad übergeht. Diese Verbindung wurde erst nach dem Krieg durch den Bau einer neuen Egerbrücke möglich. Entsprechende Pläne gab es allerdings schon früher: Die heutige Schnellstraße nach Karlsbad folgt nämlich teilweise der Trasse, auf der NS-Behörden eine Reichsautobahn bauen wollten.
Zwar hat der Grenzverkehr nicht mehr unter den Behinderungen des "Kalten Krieges" zu leiden, aber an Feiertagen und vor den Wochenenden ist die B 303 mit ihrem nur zweispurigen Ausbau ein Nadelöhr. Auf deutscher Seite stauen sich die auf ihre Zollabfertigung wartenden LKWs oft mehrere Kilometer lang und behindern den PKW-Verkehr.
Hat man diesen Engpaß überwunden, führen zwei Straßen nach Eger (Cheb): eine neue in Richtung Karlsbad und die alte über Mühlbach. Im jetzigen Landkreis Cheb, der aus der Zusammenlegung der alten Kreise Asch, Eger und Marienbad entstanden ist, sind vermutlich nicht nur die meisten Nachtclubs (Bordelle) des Egerlandes zu finden - man schätzt ihre Zahl auf etwa 180 -, sondern hinter jedem großen Grenzübergang und in Eger selbst haben sich Vietnamesenmärkte breit gemacht.
Auch in Mühlbach befindet sich ein solcher "Fidschi-Markt", wie es im Volksmund heißt. Er hat sich direkt bei der alten Kirche angesiedelt. Diese soll übrigens aus dem 10. Jahrhundert stammen und wäre damit eine der ältesten in der Umgebung von Eger.
Sie wird, wie so viele andere Gotteshäuser in Westböhmen und im gesamten früheren Sudetenland, nicht mehr genutzt und liegt in einer Art Koma, weil sich offenbar niemand findet, der sich für die Erhaltung verantwortlich fühlt bzw. diese finanzieren kann.
Immerhin erweckt die Mühlbacher Kirche äußerlich noch einen robusten Eindruck, was man von vielen anderen nicht behaupten kann. In manchen Dörfern wurden "überschüssige" Kirchen sogar abgerissen. Andernorts vernagelte man die Fenster und mauerte die Türen zu, um Vandalismus vorzubeugen.
Das Gotteshaus in Mühlbach wird jeden Tag von zahlreichen Besuchern angefahren, die auf dem Markt billig Zigaretten, Textilien, Gartenzwerge etc. einkaufen wollen. Da Mühlbach nur über einen offiziellen Grenzübergang zu erreichen ist, steht den dortigen Vietnamesen voraussichtlich nicht so bald eine Schließung ihrer Stände ins Haus, wie es beispielsweise bei einigen Märkten an der sächsisch-tschechischen Grenzlinie der Fall sein könnte, wo die Entwicklung anders verlief. Auf der tschechischen Seite des Erzgebirges, an der ehemaligen Grenze zur DDR, wurden nämlich nur wenige Ortschaften ausradiert bzw. (in unmittelbarer Nähe der Schlagbäume) "ausgehäusert". Viele Gemeinden beiderseits des Gebirgskammes sind durch Wanderübergänge verbunden, sehr zum Leidwesen sächsischer Ladenbesitzer.
Deren Umsätze erleiden erhebliche Einbußen durch die vietnamesische Konkurrenz, die ihre Märkte oft unmittelbar hinter den Übergängen aufgebaut hat. So droht nun einigen dieser Übergänge die Schließung durch die bundesdeutsche Seite, da sich die meisten hiesigen "Wanderer" nicht an die für den kleinen Grenzverkehr vorgeschriebenen Mitnahmemengen halten.
Doch zurück in den Landkreis Eger. Dort liegen zwei der weltbekannten westböhmischen Kurbäder: Franzensbad und Marienbad. Noch heute schmücken sie sich mit den Aufenthalten berühmter Persönlichkeiten aus der europäischen Politik, Kunst und Wissenschaft. Auch Johann Wolfgang von Goethe weilte häufiger dort. Überhaupt gibt im Egerland wohl nur wenige Orte, in denen Goethe nicht gewesen ist.
Allerdings sind Marienbad und Franzensbad alles andere als repräsentativ in Sachen äußeres Erscheinungsbild. Denn zum Leidwesen der meisten früheren deutschsprachigen Bewohner bieten etliche Heimatorte einen trostlosen Anblick, falls sie überhaupt noch existent sind.
Die tschechischen "Neusiedler" gingen mit der schönen Bausubstanz oft nicht eben glimpflich um. Wo früher Hunderte von Menschen lebten und arbeiteten, sind es heute oft nur noch ein paar Seelen, und Einkaufsmöglichkeiten fehlen ganz. Eine große Anzahl der einst vorhandenen Gebäude und Gehöfte sind entweder verschwunden oder stehen nur noch als Ruinen in der Landschaft. Ausgeraubte Kirchen, zerstörte oder überwachsene Friedhöfe, demolierte Kapellen und Wegkreuze, leere Fensterhöhlen, abgedeckte Dächer und eingestürztes Mauerwerk addieren sich zu einem deprimierenden Gesamtbild. Die Natur hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten vieles von dem zurückerobert, was ihr Menschen über einen langen Zeitraum abgerungen hatten.
Die neue tschechische Bevölkerung zehrte von dem Vorgefundenen, doch die Reserven dieses deutschen Erbes sind inzwischen so gut wie aufgebraucht, und Besserung ist nicht in Sicht. Spricht man die heutigen Bewohner auf die Zustände an, wird eine Mitschuld zurückgewiesen. Dann heißt es, die Misere sei allein den "Komanschi", also den Kommunisten, zuzuschreiben.
Warum sollte man auch das Antlitz der deutschen Dörfer und Städte pflegen, wenn man zu diesen keinen gewachsenen Bezug hatte und die Gegend häufig bald wieder verließ? Fast alle Deutschen waren fort, und am besten sollten auch alle ihre kulturellen Spuren verschwinden, mag manch einer gedacht haben.
In verschiedenen Museen offenbart sich diese Meinung bis zum heutigen Tag. Die Deutschen werden in den Erläuterungen zu den Ausstellungen entweder kaum erwähnt oder einzelne Namen werden, wo es nicht anders geht, tschechisiert. Man kann, sofern man genauer hinschaut, eine skandalöse Verdrängung der Geschichte beobachten. Selbst Inschriften von Denkmälern wurden entfernt, damit sie keine Hinweise mehr liefern können.
Solch unfreundliches Denken ist noch immer keine Seltenheit. Gleichzeitig zeichnet sich jedoch ein Umdenken in bezug auf deutsche Denkmäler ab. Diese (späte) Einsicht kommt allerdings nur zögerlich in Gang, denn Trümmer bringen keine Touristen.
Immerhin: Langsam tauchen wieder die alten Bemalungen an den Gebäuden in Elbogen, Eger, Franzensbad, Marienbad oder Karlsbad auf, und historische Bauten werden mit viel Liebe instand gesetzt. Finanzielle Hilfen für die kostspieligen Arbeiten stellt u. a. das PHARE-Programm der Europäischen Union zur Verfügung. Für die Restaurierung des Metternich-Schlosses Königswart bei Marienbad waren es allein 30 Millionen Kronen (heute ca. 1 Million Euro).
Viele Denkmäler müssen aber wohl noch lange auf einen solchen warmen Geldregen warten, denn was jahrzehntelang versäumt wurde, läßt sich nicht von heute auf morgen nachholen. Auch der Einsatz der Sudetendeutschen, die eigene Gelder für Restaurierungen aufbringen, ist leider nicht ausreichend, zeugt jedoch vom guten Willen und fortbestehender Heimatverbundenheit.
In der nächsten Folge des "es" berichtet Karl W. Schubsky u. a. über zwei Egerländer Dörfer, in denen tschechische Einwohner in Privatinitiative Vorbildliches geschaffen haben.
Karl W. Schubsky (Jahrgang 1953) führt regelmäßig Wanderwochen und Seminare an der sudetendeutschen Bildungsstätte Burg Hohenberg a. d. Eger durch (Postfach 24, 95691 Hohenberg, Tel.: 09233-77260, Internet: www.burghohenberg.de <http://www.burghohenberg.de>
Kirche in Palitz (April 2002): Verfallene Gotteshäuser prägen das Bild einst deutsch besiedelter böhmischer Dörfer, während größere Städte wie Reichenberg (u.) mancherorts wieder in altem Glanz erstrahlen
Fotos: Schubsky (o.)/Schmidt (u |
|