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Neben den zahlreichen Zeugnissen jahrzehntelangen Verfalls gibt es aus dem früheren Sudetenland auch Erfreuliches zu vermelden. Zwei gelungene Beispiele tschechischer Privatinitiative im Egerland sind die Dörfchen Rohr (Novy Drahov) und Taubrath (Doubrava). Einzelpersonen versetzten dort mit viel Mühe die Ensemble schmucker Bauernhöfe in ihren alten Zustand zurück.
In einem der mit Ocker und Gelb bemalten Höfe im unweit von Franzensbad gelegenen Rohr hat sich ein Töpfer niedergelassen, dem man bei der Arbeit zuschauen kann. Obendrein organisiert dieser in seinem Gehöft im Juni und Juli jeden Jahres Jazzkonzerte. In Rohr leben und arbeiten wieder Menschen - meist in irgendeiner Verbindung mit dem Tourismus. Die Gebäude erhielten ihren ursprünglichen Anstrich zurück, und selbst für die Tauben finden sich wieder die traditionellen Behausungen in den Innenhöfen.
Die Bewohner profitieren von der Nähe zur Grenze und zur Soos, einem eindrucksvollen Naturschutzgebiet, in dem noch heute Torf gestochen wird. In der Soos sprudelt das Wasser aus rund 200 Quellen direkt aus der Erde. Nach einem Rundgang über einen durch das sumpfige Gelände führenden Knüppelweg kann man ein neu erbautes Museum besichtigen, in dem Funde aus der Urgeschichte ausgestellt sind.
Taubrath liegt grenznah an den Ausläufern des Oberpfälzer Waldes. Das Dorf ist ein typisches Beispiel Egerländer Bauernarchitekt ur. Sein Baumbestand ist über dreihundert Jahre alt, und die Gehöfte stammen teilweise aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Die Häuser tragen heute wieder wie ehedem ihre bunte Bemalung. Der ganze Ort macht einen farbenfrohen und gediegenen Eindruck, also echt egerländerisch. Im ehemaligen Rustler-Gut aus dem Jahre 1751 ist ein privates volkskundliches Museum untergebracht, in dem sich eine Menge über das dörfliche Leben vergangener Tage in Erfahrung bringen läßt. Mit viel Liebe haben die Eigentümer das Anwesen renoviert und die ausgestellten Exponate gesammelt.
Es müssen also nicht immer die herausragenden Objekte sein, die der Erhaltung für würdig erachtet werden. Auch im kleinen geht etwas. Aber das ist sehr vom jeweiligen Besitzer eines Gebäudes abhängig. Wie sehr, das zeigt sich im nur wenige Kilometer von Taub-rath entfernten Kosel.
Neben einem völlig vernachlässigten Gehöft, das in einigen Jahren wohl nicht mehr stehen wird, ist der Nachbar gerade dabei, sein eigenes Fachwerkhaus, in dem er ein Restaurant im alten Stil eingerichtet hat, zu erweitern und auf "Vordermann" zu bringen.
Die Umgebung von Eger ist geprägt von einer wunderschönen abwechslungsreichen Landschaft. Um so bedauerlicher ist es, daß die kleinen Dörfer immer mehr zusammenschrumpfen und veröden, da die Bewohner kein Auskommen mehr finden können.
In einigen Orten gibt es nicht einmal mehr ein Gasthaus, in das man auf ein Bier hingehen könnte. Dabei sind die Tschechen bekanntlich ebenso begeisterte Biertrinker wie ihre bayerischen Nachbarn.
Doch an den Wochenenden und während der Ferienzeit kann es durchaus vorkommen, daß sich die Einwohnerzahl in etlichen kleinen Orten um ein Vielfaches vergrößert, dann nämlich, wenn die Städter - oder "Luftiaci" - ein paar Tage in ihren Katen verbringen. Nicht wenige dieser Kleingartenanlagen tragen heute die tschechischen Namen der alten Gemeinden, die früher an ihrer Stelle standen.
Wer mit den Tschechen in Kontakt treten möchte, der sollte dies in den Dorfwirtshäusern versuchen. Unverzichtbare Worte für das Gespräch sind dort "Pivo" und "Nasdravi", "Bier" und "Prosit". In Mühlbach steht gegenüber der Kirche das Gasthaus "U Pristavu", wo sich Tschechen und Deutsche grenzüberschreitend treffen, um Karten zu spielen und sich in einem Kuddelmuddel aus beiden Sprachen zu unterhalten.
Schrille Töne sind - anders als bei den Politikern - nur dann zu vernehmen, wenn jemand die falsche Karte ausspielt oder aus dem Fernseher der Jubel über ein Fußballtor in den Ohren dröhnt. Die Stammtisch-Gespräche lassen sich oft auf ein und denselben Nenner bringen: nämlich, daß unter den Kommunisten angeblich vieles besser war. Die Zigaretten und das Bier seien billiger gewesen, heißt es, ebenso die Mieten, und jeder mußte zur Arbeit gehen. Damals gab es auch fast keine Vietnamesen, so erzählt man sich. Diese seien erst aus Deutschland gekommen, um sich in Böhmen mit dem Geld, das man ihnen für das Weggehen gezahlt habe, niederzulassen und eigene Märkte aufzubauen. - Nun ja, halt Stammtischgequatsche.
Immer wieder stellt man vor Ort fest, daß sich mit den Tschechen gut auskommen ließe, wenn sie bloß größere Einsicht hätten beim Umgang mit den Hinterlassenschaften der Vertriebenen und sich mehr mit der deutschen Vergangenheit ihres Landes beschäftigen würden.
Das Miteinander in Böhmen hat schließlich Tradition, denn immerhin lebten in diesem Herzland Europas einst über 3,5 Millionen Bürger deutscher Nation, mit eigenen Parteien, Schulen, Kommunalverwaltungen etc. Deren Verhältnis zu den Tschechen war zwar nicht immer einfach, aber in welchem ethnisch gemischten Gebiet war das schon anders? Jede Gruppe besitzt ja ihre Eigenheiten und Fehler.
So kommt heute den persönlichen Begegnungen zwischen Deutschen und Tschechen entscheidende Bedeutung zu, denn auf beiden Seiten herrscht noch immer viel Unwissen über die Geschichte und Kultur des andern. Ist dieser Bildungsmangel samt einer Vielzahl negativer Stereotypen endlich beseitigt, wird der Weg frei zu der Erkenntnis, wieviel gerade diese beiden Nachbarvölker verbindet.
Typische alte Höfe: Taubrath kann sich wieder sehen lassen |
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