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Ein Stück Gesellschaftsleben schwindet

 
     
 
Das Bild der deutschen Universitäten war lange bestimmt durch das Auftreten der Studentischen Verbindungen. Es hat immer wieder Versuche gegeben, ihr Existenzrecht in Frage zu stellen und es gab auch verschiedentlich Probleme bei der Nachwuchsgewinnung - sie lebten und waren ein fester Bestandteil in den Hochschulstädten. Dies scheint jetzt ernsthaft in Gefahr.

In der Vergangenheit waren Zulassung
sbeschränkungen in einzelnen Fächern für Korporationen bereits gravierend. Sie bedeuten, daß Söhne oder Verwandte von Alten Herren oft nicht an den Studienort gehen konnten, an dem die Verbindung des Vaters oder eines Verwandten sich befand und damit manche familiäre Beziehung zu einem Bund beeinträchtigt wurde. Die derzeitig anstehenden Reformen werden allerdings noch einschneidender wirken.

1. Die entscheidende Frage wird sein, wie die stärkere zeitliche Belastung der Studenten in einem reformierten Studium (Bachelor / Master) mit den Anforderungen eines Verbindungslebens zu vereinbaren ist. In einem auf drei Jahre angelegten Studium bis zum Bachelor soll "eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene" erreicht werden.

Die Umstellung auf das neue System führt zu längeren Vorlesungszeiten, mehr Veranstaltungen pro Woche, einer kürzeren Studiendauer und permanenten Prüfungen.

Das bedeutet: Es bleibt weniger Zeit für das Aktivenleben. Damit stellt sich die Frage nach der Dauer der Aktivenzeit und der Intensität der Inanspruchnahme der jungen Mitglieder. Die Überlegung, es sich zeitlich "leisten" zu können, aktiv zu werden, wird zunehmend davon abhängen, ob die Verbindungen etwas bieten, was für das Studium erleichternd sein kann.

2. Mindestens ebenso gravierend wie die Umstellung des Studiensystems wird sich auswirken, wenn es tatsächlich zu einer Differenzierung der Universitäten in zwei Klassen kommt und einige als Elite- beziehungsweise Spitzenuniversitäten eingeordnet werden. Gleichgültig ob es bei nur "bis zu zehn" bleibt oder eine sachlich eher zu vertretende größere Zahl erreicht wird - diese Gruppe wird eine besondere Anziehungskraft auf befähigte Studenten ausüben. Andere, weniger attraktive Studienorte werden ausscheiden, die ansonsten aus Gründen einer Beziehung zu einer Korporation gewählt worden wären.

Die Möglichkeiten seitens der Studentischen Verbindungen beziehungsweise der Zusammenschlüsse der Alten Herren, auf die Qualität von Hochschulen einzuwirken und damit dazu beizutragen, daß sie zur "Spitze" gehören, sind allerdings relativ gering. Eine Möglichkeit immerhin besteht. Die Universitäten brauchen, um im Wettbewerb untereinander zu den führenden Hochschuleinrichtungen zu gehören, sowohl finanzielle als auch politische Unterstützung. Beides können sie dadurch erfahren, daß ehemalige Studierende sich zu ihr bekennen und sich innerhalb ihrer "Netzwerke" für die Institution verwenden. Die nach amerikanischem Vorbild gegründeten Alumni-Vereinigungen sind ein geeignetes Instrument. Durch eine aktive Mitgliedschaft wäre es auch möglich, die Beziehungen zwischen Universität und Studentischen Verbindungen zu verbessern beziehungsweise zu stabilisieren.

3. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Einrichtung privater Hochschulen. Diese gibt es derzeitig zwar fast ausschließlich nur als "Business-Schools". Für die Studenten der Wirtschaftswissenschaften an staatlichen Hochschulen aber folgt aus der privaten Ausbildung zum "Master of Business Administration" ein Problem. Gerade weil sich Spitzenvertreter der Wirtschaft ideell und die von ihnen geleiteten Unternehmen materiell für private Gründungen einsetzen, wird auch der Führungsnachwuchs aus solchen Einrichtungen rekrutiert werden. Dies ist für die Absolventen staatlicher Hochschulen ein Handicap, für die Korporationen ein Signal.

Der erfolgreiche Weg vieler ehemaliger Korporationsstudenten bis in Spitzenpositionen hatte einen Grund auch in Qualifikationsmerkmalen, die sie während ihrer aktiven Zeit erworben hatten. Die Übernahme von Verantwortung, die Notwendigkeit, sich mit anderen auseinanderzusetzen, auch das Akzeptieren anderer Standpunkte und daß man überstimmt wird, sind Erfahrungen, die freiwillig erworben werden und prägend wirken. So können die oft geforderten außerfachlichen Qualifikationen wie Teamfähigkeit und Sozialkompetenz ein Ergebnis des Lebens in einer Gemeinschaft sein. Das hat im Vergleich und Wettbewerb mit anderen den Ausschlag gegeben.

Wenn nun eine Gruppe von Bewerbern auftritt, die seitens der Abnehmer als privilegiert angesehen wird, weil sie von bestimmten Einrichtungen kommt, bleibt hier wieder nur der Versuch, dies auszugleichen. In den Verbindungen muß noch mehr als bisher unternommen werden, solche Qualifikationen zu erwerben und zu trainieren.

Darunter sind Kompetenzen zu verstehen, die dazu dienen, im Beruf erfolgreich zu sein. Hierzu zählen soziale und kommunikative Kompetenzen (zum Beispiel

Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kritik- und Konfliktfähigkeit, Diskussionskompetenz, Durchsetzungsvermögen, rhetorische Fähigkeiten) und Kompetenzen, die sich aus der Persönlichkeitsstruktur und der Selbstregulation ergeben (zum Beispiel Frustrationstoleranz, Autonomie, Durchhaltevermögen, Leistungsmotivation, Handlungskontrollüberzeugung, Zuverlässigkeit, Verantwortungsgefühl, emotionale Stabilität, Offenheit, Umgehen mit Ungewißheit, Initiative, Toleranz) sowie interkulturelle Kompetenzen (Fremdsprachen, Erfahrungen mit der Arbeitswelt).

In dem Zusammenhang sind nun ganz besonders die Alten Herren gefordert. Es geht nicht darum, durch Protektion Vorteile zu verschaffen. Das gelingt ohnehin nicht. Bestenfalls kann einmal "eine Tür geöffnet" werden. Was aber die Alten Herren tun können, ist die Wiedergabe von Erfahrungen und die Hilfestellung beim Einüben bestimmter Fertigkeiten. Ein solches "coaching" führt zugleich zu einer Festigung der Beziehungen zwischen den Generationen.

Die politischen Angriffe gegen das Korporationsstudententum konnten in der Vergangenheit abgewehrt werden; die Bewährungsprobe angesichts der aktuellen Hochschulreform steht noch aus.

 

Was ist eine Alumni-Verbindung?

Das Wort "Alumnus" ist vom lateinischen "alere" für "ernähren" abgeleitet, im übertragenen Sinne kann es auch als "der Erleuchtete", also "der mit Wissen Genährte" übersetzt werden. Als Alumni bezeichnet man in den USA und heute auch zunehmend im deutschen Sprachraum Menschen, welche einen Teil ihres Lebens an einer Hochschule oder Schule verbracht haben. Studierende, Absolventen, aktive und ehemalige Mitarbeiter gehören zur Zielgruppe für Alumni-Netzwerke.

Der Begriff wird im US-amerikanischen Hochschulbereich seit dem 19. Jahrhundert verwendet, wohingegen im britisch-englischen Sprachraum der Begriff "old boys" / "old girls" für Absolventen und "old member" für ehemalige Mitarbeiter üblich ist.

Die sogenannten "Alumni e. V." sind die Fördervereine der einzelnen Fakultäten einer Hochschule oder der Hochschule als Ganzes. Mitglied kann jeder werden, der an der betreffenden Fakultät arbeitet oder studiert oder dies in der Vergangenheit getan hat. Zu unterscheiden sind die Alumni-Vereinigungen von den an deutschen Hochschulen generell existierenden Vereinen der Freunde. Letztere verfolgen regelmäßig den Zweck, finanzielle Mittel für die Hochschule einzuwerben. Die Alumni-Vereine wollen ihre Mitglieder in einer dauerhaften Beziehung zur Hochschule halten; sie erstreben mit den entsprechenden Netzwerken politischen Einfluß zugunsten der betreffenden Einrichtung. G. T.
 
     
     
 
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