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Wenige Tage nach dem von paneuropäischem Jubel geprägten deutsch-französisch-polnischen Gipfeltreffen in Posen gab der deutsche Botschafter bei der Europäischen Union, Dietrich von Kyaw, der polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" ein bemerkenswert realitätsbezogenes Interview. Darin erklärte er in geradezu undiplomatisch er Deutlichkeit , daß auch nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union die Polen nicht sofort das volle Arbeitsrecht für Deutschland und die anderen EU-Staaten erhalten würden. Im Gegenteil: Es werde eine mehrjährige Anpassungsphase geben.
Angesichts von derzeit knapp fünf Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland und 18 Millionen Arbeitslosen in der gesamten EU sei es "absolut undenkbar", daß sofort nach dem Beitritt Polens alle Schranken für die Arbeitskräfte aus dem Nachbarlande fielen. Auf die Frage der "Gazeta Wyborcza", wann denn mit einer Freizügigkeit für die osteuropäischen Arbeitskräfte frühestens zu rechnen sei, antwortete der Diplomat zwar ausweichend, aber dennoch vielsagend: "Wenn Sie den Durchschnittsdeutschen danach fragen, wie lange der Arbeitsmarkt geschützt werden muß, dann sagt er Ihnen, mindestens für zehn Jahre."
Die Äußerungen des deutschen EU-Botschafters sind deshalb so sensationell, weil hier erstmals von deutscher Seite offiziell und öffentlich ein Vorbehalt für den Arbeitsmarkt angemeldet wurde. Mit einer weiteren Äußerung bestätigte von Kyaw indirekt, daß hinter den Kulissen bereits heftig über Übergangsfristen gestritten wird. Von Kyaw drohte nämlich für den Fall, daß Polen auf seinen "extremen Positionen" beharre: "Dann werden wir das gleiche tun."
Die "extreme Position" Polens, die von Kyaw kritisierte, bezieht sich auf die Forderung Warschaus, ohne irgendwelche Auflagen in die EU aufgenommen zu werden, was eben bedeutet, daß die polnischen Arbeitnehmer ungefähr nach dem für das Jahr 2003 erwarteten Beitritt Polens zur Europäischen Union den vollen Zugang zum begehrten deutschen Arbeitsmarkt haben müssen.
Die Beitrittsverhandlungen der EU mit den auf der Kandidatenliste stehenden mittel- und ostmittel-europäischen Staaten sollen Ende März beginnen. Zuerst will man über das Regelwerk des Verfahrens sprechen. Die eigentlichen Verhandlungen sind für Anfang 1999 eingeplant. Wie lange sie dauern werden, ist ungewiß, aber mit weniger als drei bis vier Jahren rechnet niemand der Beteiligten. Daß sie kein Zuckerschlecken sein werden, zeichnet sich jetzt schon ab. Das Kyaw-Interview hebt nur eines der vielen Problemfelder ans Tageslicht. Zu hoffen ist, daß die Bundesregierung auch auf an-deren Problemfeldern und da kennen auch die Vertriebenen etliche mit der gleichen Standfestig-keit die deutschen Interessen vertritt.
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