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Eine Pauschinger Bäuerin und die Aussiedler

 
     
 
Elisabeth Barna wird nicht fahren. Sie hat Deutschland abgeschrieben. Auch das schön Franken, aus dem ihre Ahnen vor 200 Jahren in die Karpato-Ukraine gezogen sind. Mögen die anderen ihre Dummheiten machen. Mögen sie "die Schrift eingeben", wie man in Pausching zu den Anträgen sagt, und in ein Land gehen, das sie nicht kennen. Si jedenfalls wird bleiben. Warum? Für die Dinge des Lebens hat sie oft ein Gleichnis "Wozu geht einer zum Dirigieren, wenn er kein Dirigent
nicht ist?"

Nur manchmal zweifelt sie. Dann glaubt sie, "daß man so ein Joch wie hier in de Ukraine nicht mehr lange tragen kann". Aber die Zweifel verschwinden wieder. Denn e wird ja wieder einen neuen Sommer geben. "Dann rauschen hier die Bächlein, und die Vögel zwitschern", und Elisabeth Barna spürt wieder, daß sie hier am Karpatenran bleiben muß.

Seit 67 Jahren wohnt die Bauersfrau am Fuß der ukrainischen Berge. Ihr Leben is einfach. Es dreht sich um die Heilige Messe und die hohen kirchlichen Feiertage. Zei mißt sie am bäuerlichen Jahr. Wenn sie eine ihrer Geschichten aus der Pauschinge Vergangenheit erzählt, dann sagt sie nicht, das war im Juli, sondern das war kurz vor de Weizenschnitt.

Für den Winter muß genug Holz am Haus liegen und Fleisch in der Kühltruhe. War haben muß es der Mensch, und gut essen muß er auch. Bei Hochzeiten und Totenfeiern wir Elisabeth Barna gern als Köchin an den Herd gebeten. "Ich bin dann immer de Hauptchef. Der englischen Königin ihr Haar ist nicht so schön wie meine Nudeln au lauter Eiern."

Manchmal scheint es idyllisch zu sein in diesem vergessenen deutschen Dorf. Nur wen die Nudeln aus lauter Eiern aufgegessen sind, Elisabeth Barnas Rente von knapp 30 Mark ei halbes Jahr nicht kommt und die Jungen keine Arbeit finden, dann spürt die Bäueri wieder das Joch.

"Immer war ich stark, niemals war ich müde, aber jetzt muß ich mich aufärger über dieses Land. Die Fabriken stehen still, und dort, wo noch gearbeitet wird, gibt e Lohn nur alle paar Monate. Für die Pension mußt du sofort große Mengen Salz, Pfeffer Mehl und Brot kaufen. Keiner weiß, was morgen ist. Die Russen und die Ukrainer haben da ganze Land abradiert. Es ist kein Kopf nicht in diesem Land."

Elisabeth Barna ist eine kräftige Bauersfrau. Manchmal wird sie laut. Zum Beispie wenn sie vom Überleben in der Ukraine erzählt. "Wir leben noch, weil wir alle selber machen. Wir halten Schweine und produzieren Fleisch und Wurst daraus. Die Beere werden eingeweckt. Ich keltere unseren Wein, und aus den Resten wird noch Schnap gebrannt. Bei mir bleibt nichts übrig."

Frau Barna klagt, aber sie kommt durch. Es gab schon schlimmere Zeiten, abe gefürchtet hat sie sich nie. Außer vor Gott. "Meine Mama hat mir gesagt" erzählt sie, "das deutsche Volk schaut immer in den Himmel, niemals in die Erde."

Ihre Nationalität hat den Pauschingern lange zu schaffen gemacht. Nicht bis 1918, als sie habsburgisch waren. Nicht bis 1944, als sie erst zur Tschechoslowakei und dann kurz zu Ungarn gehörten. Aber im Oktober 1944 ist die "Rote Armee" gekommen, un Elisabeth Barna war schon alt genug, um sich heute noch daran erinnern zu können "Zuerst waren sie gar nicht streng auf uns. Aber dann, schon im Winter und Frühjahr haben sie die Männer und Frauen fortgeschafft. Männer von 18 bis 50 Jahren und Fraue von 18 bis 33."

Die Deutschen aus Pausching und den umliegenden deutschen Siedlungen bei Uschgorod un Munkatsch wurden in den Donbass ver-schleppt, weil sie Deutsche waren, und es hieß, si hätten Hitler geholfen. Die Männer sollten in den Kohlebergwerken arbeiten, die Fraue waschen und Zuckerrüben ziehen. "Und so wurden sie einwaggoniert un weggeführt."

Elisabeth Barna war zu jung dafür. Sie blieb im Dorf, das noch Pausching hieß, abe über Nacht anders geworden war. Auf einmal waren nur noch die Alten da und die Kinder Erst nach fünf Jahren kamen die Verschleppten zurück. Aus dem Donbass, aus Sibirien un Kasachstan. Aber es kamen nur die wieder, die nicht verhungert oder verdurstet waren.

50- oder 60jährige Pauschinger waren jetzt Bürger der Sowjetunion, wie sie frühe Bürger der habsburgischen Monarchie, der Tschechoslowakei oder Ungarns gewesen waren. Si lebten in vier verschiedenen Ländern, aber immer im gleichen Dorf. Assimilation fan nicht statt. Sie wollten Deutsche bleiben, und die sowjetischen Behörden wollten, da sie das zu spüren bekommen.

"Sie haben nur auf uns gespöttelt", sagt Elisabeth Barna. "Wir ware die Faschisten. Ein Ukrainer aus dem Nachbardorf meinte zu mir, was redest du deutsch sprich russisch. Ich antwortete ihm, ich spreche, wie meine Mama mich gelehrt hat. E sagte, aber du ißt russisches Brot. Ich antwortete, ich esse das Brot, das mein Vate verdient."

So leben die Pauschinger bis heute am Karpatenrand. Sie sind immer noch dieselben, nu ihr Paß ist wieder einmal anders. Diesmal ist es die ukrainische Ausgabe. Sie spreche ihr altfränkisches Deutsch zu Hause, in der Kirche, bei Kindstaufen oder Begräbnissen Sie feiern Weihnachten am 24. Dezember, und am 6. Januar geht der Priester die Häuse weihen.

Ende 1998 war starker Regen gefallen. Die Latorycja war über die Ufer getreten un hatte das westukrainische Karpatenvorland verwüstet. Die alten Frauen von Pauschin wußten nur einen Rat. Sie gingen in die Kirche, um 24 Stunden zu beten. Sie machten e genauso wie die alten Frauen in den anderen fränkischen Dörfern der Karpato-Ukraine, in denen noch Deutsche leben. In Unterschönborn und Oberschönborn, in Barthaus un Mädchendorf, in Synjak, das auf deutsch Blaubart heißt, oder in Blankendorf. Insgesam eine Woche wurde reihum gebetet.

Pausching ist das letzte der Franken-Dörfer in der Karpato-Ukraine, das fast völli deutsch ist. Von 350 Häusern sind nur 20 von Ukrainern oder Zigeunern bewohnt. Auf de Grundstücken stehen Gartenzwerge. Ein Krankenauto mit der Aufschrif "Rettungswagen" fährt durch die ukrainische Nacht. Über dem Dorfladen häng ein Schild "Kaufhalle".

Elisabeth Barna wird wütend, wenn sie hört, daß Leute aus dem Dorf nach Deutschlan aussiedeln wollen. Sie fragt: "Warum müssen die fortretirieren? In Deutschland sin auch nur Leute, die mit Füßen gehen. Glauben sie, dort ist alles umsonst? Mein Schwester hat hier so ein wunderbares Haus gehabt, vier Zimmer wie im Himmel. Gute Zahlun hat sie bekommen, aber sie ist gegangen."

Lange hat sie ihrer Schwester hinterhergeschwiegen. Nicht einen Brief geschrieben. Abe als Magda eines Tages in Pausching wieder vor ihr stand, ist Elisabeth Barna weic geworden. Sie hat getan, was sie immer tut, hat gekocht und den Hauptchef gemacht "Zwei Schweine haben wir geschlachtet, haben ihr zwei Kühlkästen Fleisch und eine Sack Wurst gegeben, und sie hat‘s fortgeführt nach Deutschland, weil dort solc Fleisch nicht ist. Dort ist nur Fleisch wie Papier. Ich sage von meinem Herzen herau – alle möchten sie wieder nach Hause kommen. Aber sie schämen sich."

Die 67jährige Elisabeth Barna möchte glauben, daß ihr Dorf am Karpatenrand ewi besteht. Pater Burghard, der in Schönborn die Gemeinde betreut, glaubt das nicht "Die einen gehen, weil die anderen schon gegangen sind. Viele kommen zurück, schaue sich ihre Häuser an und weinen, weil ihre Seele hiergeblieben ist. Dann fahren si wieder. Wenn die Verhältnisse in der Ukraine so bleiben, werden alle fahren."

Manchmal hat der Priester versucht, ukrainische Elemente in den Gottesdiens aufzunehmen. Aber da ist er an den Franken gescheitert. "Sie sind hier deutscher als die Deutschen", sagt er.

Fast kann man das an den Uhren ablesen. Zu Zeiten der Sowjetunion galt in Pausching un Umgebung die Moskauer Zeit mit zwei Stunden Unterschied zur mitteleuropäischen. Heut gilt eigentlich Kiewer Zeit. Kiew ist eine Stunde voraus. In Pausching aber richten sic die Franken nach "unserer Zeit". Hier ist es immer so spät wie in Berlin ode Hamburg
 
     
     
 
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