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Befragt nach der Bedeutung, die das Richtfest für das Berliner Holocaust-Denkmal vom 12. Juli 2004 habe, antwortete Lea Rosh (67), dies sei "ein froher und guter Tag für uns". Sie unterließ es, das "uns" näher zu erklären. Einem anderen Satz kann man entnehmen, daß es einen relativ kleinen Personenkreis bezeichnet. Rosh sagte: "Wichtig ist nun, daß die Menschen in diesem Land das Denkmal annehmen." Woraus man folgern kann, daß die "Menschen in diesem Land" an dem Projekt gar nicht beteiligt waren und es über ihre Köpfe hinweg entschieden wurde.
Die unter dem Künstlernamen Lea Rosh bekannt gewordene Journalistin hatte 1988 den "Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas" gegründet. Durch die deutsche Einheit ergab sich die unerwartete Chance für sie, es in die Mitte der Stadt zu pflanzen. Der Architekt Peter Eisenman, der das Stelenfeld aus 2.700 Betonsäulen entworfen hat, war sich auf dem Richtfest sicher: "Die Geschichte wird es Ihnen danken."
Auf den künftigen Lorbeer der Geschichte berufen sich vor allem diejenigen, die ahnen, daß ihr Handeln auf unsicherem Grund steht. Da sie in der Gegenwart keine Legitimation finden, vertrösten sie sich und andere auf die Zukunft. Meistens geht das schief. Davon zeugt auch der Mauerstreifen, auf dem das Denkmal sich befindet. Wer die mehrere Fußballfelder große Anlage und die Diskussion dazu betrachtet, stellt fest, daß die Initiatoren sich auf den Gang der Geschichte gar nicht verlassen, sondern selber Geschichte machen und vorausbestimmen wollen, damit das Urteil, das sie gefällt haben, auf alle Zeiten unverrückbar bleibt.
Das Denkmal gibt "Auskunft ... über den spätestens im Historikerstreit von 1986 gefundenen Konsens, den Epochenbruch des NS-Völkermordes als quasi archimedischen Punkt der deutschen Politik nach Hitler zu verstehen", schrieb der Berliner Tagesspiegel. Im Historikerstreit ging es freilich nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um ihre politische Nutzanwendung und um Macht. Sein Ergebnis kann daher nur als vorläufig begriffen werden.
Die Stadt und das Land aber haben für diese Vorläufigkeit bereits einen enormen Preis zu zahlen. Das Denkmal liegt in der Mitte der Hauptstadt, im Schnittpunkt der Verbindungslinien zwischen Reichstag, Bundesrat, Kanzerlamt, Brandenburger Tor und dem Goethe-Denkmal im Tiergarten. Es erhebt damit den Anspruch, die Summe der deutschen Geschichte bis 1945 zu repräsentieren. Das bedeutet auch, daß von hier aus die Bedeutung der deutschen Institutionen und Symbole neu bestimmt wird.
An diesem Konzept ist etwas Totalitäres und Ungeschichtliches. Es kann keinen Widerspruch dulden. Schon hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) angekündigt, für den Umkreis des Mahnmals per Gesetz ein Demonstrationsverbot zu verhängen.
Ein anderes Problem hat der Architekt Peter Eisenman selbst berührt. Er finde es gut, in Berlin an dieser Stelle gebaut haben zu dürfen (sehr verständlich), aber in einer Stadt wohnen, in deren Mitte ein symbolischer Friedhof liege, das möchte er nicht. In der Tat: Wie soll sich Urbanität im Schatten eines Friedhofs entfalten? Und was hat das für Auswirkungen auf das Land?
Man kann sie am nahegelegenen Potsdamer Platz erahnen, wo viele Bürogebäude leerstehen. Auch der neue Beisheim-Komplex hat bisher kaum Mieter. Wer will schon mit Blick auf ein Stelenfeld wohnen? Nebenan, in den Ministergärten, liegt die schleswig-holsteinische Landesvertretung. In einer Fernsehreportage entschlüpfte sogar der Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), als sie auf den schönen Ausblick aus ihrer Dienstwohnung angesprochen wurde - er geht auf das Stelenfeld - ein sinngemäßes "na, ich weiß nicht".
Eine politische Generation, die eine untilgbare Staatsverschuldung betrieben und zugleich am meisten von ihr profitiert hat, hinterläßt ihren Nachkommen - soweit sie überhaupt welche hat - neben der verfrühstückten Zukunft ein spirituelles Erbe, an dem diese nur zugrunde gehen können.
Das berühmteste Buch, in dem der Versuch unternommen wurde, die Geschichte vorher-zubestimmen, hieß übrigens: "Der Untergang des Abendlandes". Gar kein so schlechter Titel für das, was sich hierzulande gerade abspielt.
Hier bauen - ja. Hier leben? Lieber nicht:
Die Bekenntnisse von Architekt Peter Eisenman (r.) und Initiatorin Lea Rosh lassen die Wirkung des Holocaust- Denkmals auf Berlin und Deutschland erahnen. |
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