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Was! Ausländisches Gesindel würde über unsere Heime gebieten! Was! Diese Söldnerscharen würden unsere stolzen Krieger niedermachen! Großer Gott! Mit Ketten an den Händen würden sich unsere Häupter dem Joch beugen. Niederträchtige Despoten würden über unser Schicksal bestimmen! Zu den Waffen, Bürger! Schließt die Reihen, vorwärts, marschieren wir! Das unreine Blut tränke unserer Äcker Furchen!"
Man stelle sich vor, im Lied der Deutschen wäre von "ausländischem Gesindel" und "unreinem Blute", das fließen soll, die Rede! Die ausländerfeindlichen und blutrünstigen Zeilen finden sich jedoch nicht in der deutschen, sondern in der französischen National hymne, die wie die Melodie des Deutschlandliedes ein Kind der Koalitionskriege ist.
Am 24. April 1792 erreichte Straßburg die Nachricht, daß vier Tage zuvor Frankreich Österreich den Krieg erklärt hatte. Der Bürgermeister der seinerzeit französischen Stadt mit dem schönen französisch-deutschen Namen Frédéric de Dietrich nahm das zum Anlaß, noch am selben Tage ein Bankett zu geben, in dessen Verlauf das Fehlen einer Nationalhymne von Zivilisten wie Militärs beklagt wurde. Dem Pionierhauptmann Claude-Joseph de Lisle, dessen Musikalität sich bereits in seiner Kindheit herausgestellt hatte, wurde daraufhin das Versprechen abgenommen, hier Abhilfe zu schaffen.
In der darauffolgenden Nacht schaffte der junge Offizier in seinem an der Rue de la Mésange gelegenen Zimmer ein Kampflied, das er am nächsten Morgen seinem Freund und Kameraden Leutnant Masclet vorstellte. Bürgermeister Dietrich hörte als nächster das "Kriegslied der Rheinarmee" und war so begeistert, daß er seine Gäste des Vorabends erneut zu sich einlud, um es ihnen, begleitet von seiner Nichte am Klavizimbel, mit eigener Stimme vorzutragen. Vier Tage später, am 29. April erklang das Lied erstmals in der Öffentlichkeit. Die Nationalgarde brachte es auf dem Straßburger Paradeplatz zu Gehör anläßlich des Vorbeizugs eines Freiwilligenbataillons.
Innerhalb von Tagen verbreitete sich das Revolutionslied das Rhônetal hinunter bis nach Montpellier. Abgesandte dieser Universitätsstadt hielten sich wenige Wochen später in Marseille auf, um einen Marsch von Truppen beider Städte nach Paris zu besprechen. Bei einem Bankett, das die Marseiller aus diesem Anlaß am 22. Juni gaben, stimmte einer der Gäste aus Montpellier namens Mireur "Allons, enfants de la patrie!" an. Das Echo war enorm. Bereits am darauffolgenden Tag erschien der "Kriegsgesang der Grenzarmeen" in gedruckter Form in der Hafenstadt.
Unter diesen Klängen verließ am 2. Juli das etwa 500köpfige Marseiller Freiwilligenbataillon die Heimatstadt, um am 30. des Monats unter denselben Klängen in die französische Hauptstadt einzuziehen. Hier setzte sich der Siegeszug der Weise unter dem Titel "Gesang der Marseiller" fort. Später sprach man nur noch von der "Marseillaise".
Als sich der Sturm auf die Bastille, den die Franzosen noch heute feiern, zum sechsten Mal jährte, am 14. Juli 1795, beschloß der Nationalkonvent auf Antrag des Abgeordneten Jean Debry, daß vom folgenden Tag an die Marseillaise offizielle Hymne der Französischen Republik sei, was sie auch noch heute ist.
P.S.: Als bei der Eröffnung der letzten Fußballweltmeisterschaft eine kleine Französin die Marseillaise vortrug, kam im Gastgeberland eine Diskussion über deren martialischen Inhalt auf. Aber dabei blieb es bis jetzt denn auch.
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