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Drei Familien trugen den Namen Sgusminski in Rosengarten. Die drei Männer waren alle bei der Bahn. Zwei in der Streckenrotte von Rottenführer Ziegler, und der gelernte Tischler in der Werkstatt der Bahnmeisterei am Ende des Verladeplatzes. Von ihm habe ich vor einem Jahr im unter der Überschrift "Meister ohne Meisterbrief" erzählt. Den Kiengeruch der Hobelspäne vor seiner Werkbank habe ich heute noch in der Nase. Aber nicht von den Sgusminsk ischen Männern will ich heute plaudern, sondern erst einmal von der Frau des Gleisarbeiters Otto Sgusminski.
Obwohl die drei Familien weit weg vom Bahnhof auf der anderen Seite des Dorfes in Siedlungshäusern wohnten, war die Frau des Eisenbahners Otto Sgusmin-ski gleich früh morgens bei uns, wenn Mama in der Waschküche auf dem Hof am Abend zuvor große Wäsche eingeweicht hatte. Frau Sgusminski wußte von dem Vorhaben, denn ihr Mann wurde stets rechtzeitig am Bahnhof angesprochen. Opa machte Feuer unter dem Waschkessel, und wenn es dampfte, krempelte sich Frau Sgusminski die Ärmel ihrer Bluse hoch und begann unsere Hemden und Unterhosen zu schrubben und zu wringen, denn eine Waschmaschine hatten wir damals noch nicht.
Mittags rief Mama ihre Waschfrau nach oben in unsere Küche. Sie hatte etwas mehr als sonst gekocht und drängte ihre Hilfe zuzulangen.
Frau Sgusminski ließ sich nicht lange bitten. Sie aß und lobte zwischendurch Mutters Kochkünste. Mama bekam rote Wangen und erzählte, wie sie in jungen Jahren Kochen und Braten in der Küche eines Angerburger Gasthauses gelernt hatte.
Die Frauen kamen jedesmal an solchen Mittagspausen ins Plaudern, und ich erfuhr dabei so manches Neues. So unter anderem auch, wie schwer es Frau Sgusminski und ihren Mann getroffen hatte, als ihr Sohn - nicht mal ein halbes Jahr alt - gestorben war. In der Küche wurde es auf einmal still. Und ich sah, wie meine Mutter ihre Rechte auf die Hand ihrer Waschfrau legte und leise sagte: "Aber Sie haben noch Elly - ein prächtiges Mädel!" Frau Sgusminski nickte, holte jedoch ein Taschentuch aus ihrer Schürzentasche und schneuzte sich verlegen.
Ich hatte plötzlich Elly vor Augen, eine freundliche, rotwangige Marjell mit blondem Haar und langen Zöpfen. Wir waren in der Schule im selben Klassenraum. Sicher gehörten wir auch demselben Jahrgang an, nur war Elly wahrscheinlich im Frühjahr 1924 geboren, denn sie saß eine Abteilung weiter als ich.
Sie fiel mir schon bald nach Pfingsten meiner Abc-Zeit auf, wenn wir Buchstaben oder die ersten Zahlen auf unsere Schiefertafeln griffelten, und Lehrer Moder-egger die Bowkes und Marjellens hinter uns befragte. Ich hatte die flotten Antworten von Elly bestaunt und Zufriedenheit in der Stimme unseres Lehrers bemerkt.
Das setzte sich auch in den folgenden Monaten fort. Und jetzt nach den Sommerferien war es nicht anders. Ich hatte jedoch nicht immer so sehr darauf geachtet. Aufmerksam wurde ich jedoch, als eines Vormittags Elly hustete und würgte. Sie war ganz blaß, und Lehrer Moderegger sagte: "Mädel, nimm deine Sachen! Kannst heute zu Hause bleiben!"
Alles ging so schnell. Gleich war es rund im Klassenraum: Elly hatte einen Wurm erbrochen. Als ich das zu Hause erzählte, machte Mama ein erschrockenes Gesicht. Und Opa meinte, daß das kein gutes Zeichen wär. Auf meine Frage, was das zu bedeuten hätte, drehte er sich um und schlurfte aus der Küche die Treppe hoch in seine Dachkammer.
Ich war unruhig, teils auch beleidigt, weil ich keine richtige Antwort erhalten hatte. Ich wußte, daß Opa die wenigen Male, die Elly ihre Mutter in unserer Waschküche aufgesucht hatte, gern eine kleine Quasselei mit ihr begonnen hatte. Er hatte schnell herausgefunden, daß Elly nicht nur schöne blonde Zöpfe hatte, sondern auch hellen Grips in ihrem Kopp. Doch nach der Wurmgeschichte war es mit Ellys heiterem Gemüt vorbei. Sie blieb blaß, war still und bedrückt. Wir Abc-Schützen merkten es nicht gleich. Doch als es eines Tages von Mund zu Mund ging: "Elly Sgusminski ist tot!", durchfuhr es mich heiß. Mama und Opa nickten und murmelten: "Das hatten wir befürchtet!"
Mir zwiebelte es den Rücken hinunter, als Wochen danach unsere Nachbarin erzählte, daß es ihr durch Mark und Bein gegangen wär, als sie am Friedhof vorbeigegangen war und das Weinen und Jammern von Ellys Mutter gehört habe. Ellys Tod bedrückte auch mich. Und wie man sieht, habe ich jene Tage bis heute nicht vergesse |
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