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Endlose Quasselorgien statt Politik

 
     
 
Das  waren noch  Zeiten, als in der Politik Argumente das Verhalten bestimmten. Was ist Politik? Die  Planung und  Gestaltung der öffentlichen Ordnung. Das sollte unter Einsatz des Verstandes, also rational, geschehen. Die unvermeidbaren Gefühle, Erregungen, Leidenschaften sollen durch Verstand und Vernunft kontrolliert und im Zaum gehalten werden. Soweit das Ideal, insbesondere in demokratischen Systemen.

Seit Anfang der sechziger Jahre schleicht sich ein Wandel ein, der unter der gegenwärtigen Regierung einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Konventionen und Werte, die gestern noch galten, ändern sich unter dem Druck der Verhältnisse. Diejenigen, die gestern Friedensphrasen droschen, führen heute Krieg, natürlich aus humanitären Gründen.

Wer gestern blökte: "Soldaten sind Mörder", Deserteure verherrlichte, ihnen Denkmäler setzte und Pflichterfüllung als profaschistische
Sekundärtugend verächtlich zu machen versuchte, schickt heute Soldaten in den Kampf und erwartet treue Pflichterfüllung. Reden (von gestern) und heutiges Handeln stehen in einem solchen scharfen Gegensatz, daß auch der Dümmste auf den Gedanken kommen könnte, nach der moralischen Legitimität einer solchen politischen Führungsschicht zu fragen. Die Antwort könnte karriere- und postenschädlich ausfallen. Deshalb muß was getan werden. Was denn? Es wird gequasselt. Die Widersprüche werden mit einem Wortschwall zugeschüttet. Symbol für diese Politik sind jene drei asiatischen Affen: Nichts sehen, hören, sagen. Die Politik in Deutschland weicht davon ab: Nichts sehen und hören, aber über alles schwätzen – hemmungs-, kenntnis-, pausenlos.

Warum ist das so? Aus Furcht vor der Tat. Die stört die friedlich-gemütliche Verdauung. Also quasseln wir: die Regierung, die Opposition, die Journaille. Die Politik – eine Talkshow. Die Bevölkerung, desorientiert, trottet mit, mault, rülpst und hofft, daß es nicht noch schlimmer kommt, der Krieg möge "hinten fern in der Türkei" bleiben. Ein Volk ohne Führung, eine politische Kaste ohne Konzept und Vision.

Alles treibt. Genieße den Augenblick, die Zukunft wird fürchterlich. Wenn wir handeln, wird’s schlimm, wenn wir nicht handeln, auch. Also lassen wir’s treiben, stehlen uns aus der Verantwortung und quasseln so lange, bis sich die Verhältnisse von selbst klären. Und wenn’s in einer Katastrophe endet, haben wir eben Pech gehabt.

Die moralische Hauptschuld an dieser Entwicklung tragen die Medien, vor allem das Fernsehen. Wie kann dieses Medium einen solchen prägenden Einfluß bekommen? Dafür gibt es zwei Gründe: Früher, als es noch einigermaßen stabile gesellschaftliche Gruppen, also Arbeiter, Bürgertum, kirchlich Gebundene gab, bestimmten deren Konventionen das Verhalten, auch in der Politik.

Die klassenbewußten Arbeiter wählten rot, das gebildete Besitzbürgertum liberal und die katholische Landbevölkerung schwarz – da konnten die damaligen Medien sagen, was sie wollten. Seitdem diese gesellschaftlichen Strukturen zerfallen und ihre Werte ins Rutschen gekommen sind, ist ein Vakuum entstanden. Das wird von den Medien ausgefüllt. Die Journalisten als selbsternannte Meinungsführer sind nicht besser und nicht schlechter als früher, aber sie haben eine wichtigere Funktion. Die Menschen sind orientierungslos geworden und lassen sich von der veröffentlichten Meinung orientieren und gar zu oft eben desorientieren.

Das wäre der erste Grund. Auf den zweiten hat uns kürzlich Erich Schmidt-Eenboom in seinem Buch "Undercover" (Köln 1998) hingewiesen. Er weist auf die Geheimdienstverstrickungen einiger Journalisten hin und macht damit auf ein politisch-moralisches Grundproblem aufmerksam: Viele Bildner der öffentlichen Meinung dienen nicht ihrem (weiten) Gewissen, sondern geheimen Herren.

Klingt das nicht alles rein negativ? Wo bleibt das Positive? Das ist die Frage. Die Lösung wäre: Ehrlich die Wahrheit sagen. Samuel Huntington hat uns in seinem Buch über den Zusammenprall der Zivilisationen gewarnt, das nächste Jahrhundert werde uns Kriege und Bürgerkriege bringen. Darauf sollten wir uns vorbereiten. Aber zu solchen unbequemen Einsichten reicht die Charakterstärke nicht aus. Deshalb wird der Krug weiter zu Wasser gehen, bis er bricht.

 
     
     
 
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