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Englands Rottweiler

 
     
 
Immer, wenn man glaubt, der Gipfel der Geschmacklosigkeit sei erreicht, schaffen es britische Massenmedien, noch eins draufzusetzen. So auch jetzt nach der Wahl des deutschen Kardinals Ratzinger zum Papst: The Sun begrüßte Benedikt XVI. mit der ganzseitigen Schlagzeile "From Hitler Youth to Papa Ratzi". Dem wollten Daily Mirror und Daily Telegraph nicht nachstehen: Nachdem die Nazi-Keule verbraucht war, griffen sie einmütig in die Kiste mit den Verunglimpfungen aus dem Tierreich und ernannten den neuen Papst zu "God s Rottweiler".

Der Rottweiler-Vorwurf jedenfalls fällt auf seine Urheber zurück. Denn nicht der neue Mann im Vatikan ist bissig und aggressiv, sondern die britische Massenpresse - insbesondere im Umgang mit den Deutschen. Nach den jüngsten Entgleisungen wiesen manche Engländer entschuldigend darauf hin, dies sei ja "nur" die Boulevardpresse; die möge man doch bitte nicht so ernst nehmen und lieber auf die seriösen Stimmen hören (wobei anzumerken ist, daß The Daily Telegraph keineswegs ein Boulevardblatt ist). Natürlich gibt es im UK seriöse Blätter, die sich - zumindest im Vokabular
- selbst dann noch mäßigen, wenn es um Deutschland und die Deutschen geht. Und natürlich gibt es viele Engländer, denen die 60 Jahre nach Kriegsende noch anhaltende antideutsche Hetze zuwider ist. Hier sei an britische Beiträge zum Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche erinnert - und daran, daß Bomber-Harris nicht von allen seinen Landsleuten als Held gefeiert wird.

Aber man muß auch die richtigen Maßstäbe bewahren. Schlagzeilen, die zutreffender als Totschlagzeilen zu bezeichnen wä- ren, verkaufen sich in Großbritannien millionenfach, während zurückhaltende, besonnene, eben "seriöse" Blätter sich meist eher im fünfstelligen Auflagenbereich bewegen.

Bei allem Selbstbewußtsein des Autors und seiner Mitstreiter hier in der Hamburger Innenstadt - es würde doch niemand auf die Idee kommen, uns zum Meinungsführer der deutschen Massenpresse hochzustilisieren und im Gegenzug Bild mit seiner Millionenauflage zur publizistischen Randerscheinung zu degradieren, die man nicht weiter ernst zu nehmen brauche. Nein, die Schlagzeile in Bild hat - unabhängig vom jeweiligen Wahrheitsgehalt - selbstverständlich eine ganz andere Außenwirkung als die Aufmacherzeile derVerlegerin Und genauso müssen die Briten es sich gefallen lassen, daß wir Deutschen ihr Meinungsbild daran messen, was die großen Massenblätter verbreiten. Zumal wir hin und wieder auch den begründeten Verdacht haben, daß die "seriösen" Stimmen nur Alibifunktion haben.

In diesen Wochen und Tagen hören und lesen wir immer wieder, nun sei die Nachkriegszeit endlich vorbei und die Vollendung des Versöhnungswerks zwischen den einstigen Kriegsgegnern angesagt. Wir in Deutsch- land haben hier keinen Nachholbedarf. Wir haben - bis auf ein paar Schreihälse an den extremen Rändern, die man nun wirklich nicht ernst nehmen sollte - längst unsere Lektion gelernt und die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Zugegeben: Besiegte tun sich damit naturgemäß wohl etwas leichter als die Sieger. Aber 60 Jahre nach diesem Krieg mit all seinen Leiden und seinen Verbrechen auf allen Seiten ist es nun wirklich an der Zeit, daß sich auch auf Seiten der Sieger die historische Wahrheit durchsetzt und zur Richtschnur des Umgangs der Völker miteinander wird. Und dafür waren die Kommentare der britischen Massenmedien zum neuen - deutschen - Papst leider kein gutes Signal.
 
     
     
 
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