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Es war bestimmt der falsche Zeitpunkt, als Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) den schrecklichen Fall der Kindstötungen in seinem Bundesland als Beweis für den Werteverlust in den östlichen Bundesländern ansah und diesen auf die von der kommunistischen SED erzwungene Proletarisierung zurückführte. Lag es doch auf der Hand, daß die notwendige, seit langem überfällig e Diskussion um die Selbstfindung der Deutschen im Wahlkampf nicht geführt werden kann. Es hieße, sich zu übernehmen und die Bürger zu überfordern. Obendrein gab es ausgerechnet der kommunistischen PDS, die sie als SED einst eingemauert hatte, willkommene Gelegenheit, sich als Anwalt der Menschen zwischen Ostsee und Thüringer Wald aufzuspielen. Das alles hätte ein brandenburgischer Landesminister bedenken müssen, der sich gern einen Konservativen nennen läßt.
Kein Wunder, daß prompt ein Leserbriefschreiber in einer großen deutschen Tageszeitung sinngemäß die Frage stellte, ob denn vielleicht das schlimme und abstoßende Verbrechen des Kannibalismus vor drei Jahren im westdeutschen Rotenburg im Bundesland Hessen ein Ergebnis der kapitalistischen Ordnung mit ihrer schranken- und hemmungslosen Selbstverwirklichung sei ...
Weder das eine noch das andere schreckliche Ereignis dient für sich genommen zur Erklärung des Werteverfalls in Deutschland, schlimmstenfalls zur polemischen Diskussion in Wahlkampfzeiten, besonders dann, wenn von den großen wirtschafts- und sozialpolitischen Problemen und ihren Verursachern abgelenkt werden soll.
Ablenken kann im Wahlkampf auch ein fröhliches Lied. Darum schwang sich der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering bei einem Aufenthalt an der Nordseeküste auf zum fröhlichen Gesang: "Wenn Wahlkampf ist, wenn Wahlkampf ist, dann meide ich jeden Sozialist." Ein bißchen Spaß müsse schließlich sein, meinte er zu seinem Liedchen. Aber wenn es ernst werden sollte nach der Wahl, wird er schnell und ganz gewiß wieder die Nähe zu den sozialistischen Genossen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi von der "Linkspartei" finden. Dann hat es der Wähler eben so gewollt - und dessen Willen kann und darf man nicht verachten ...
Einig waren sich die roten und grünen Sozialisten schon früher - im Kampf gegen die Wiedervereinigung der "alten Bundesrepublik" mit jenem Teil Deutschlands zwischen Elbe und Oder, in dem sie heute mit besonderem Eifer auf Stimmenfang gehen. Hatte doch Lafontaine noch im Dezember 1989 (!) gefragt: "Wiedervereinigung?" und selbst die Antwort gegeben: "Welch historischer Schwachsinn!"
Ein paar Monate früher hatte sein Genosse, der heutige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sich ähnlich geäußert: "Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie nicht."
Zum selben Thema meinte Joschka Fischer, Schröders heutiger grüner Außenminister: "Im eigenen Interesse müßte man diese deutsche Karte ... ein für alle mal verbrennen. Das heißt, selbst wenn die Wiedervereinigung angeboten würde, müßte man sie ablehnen ..." Als die staatliche Einheit dann doch kam, vermeldete Fischer im Oktober 1990 zähneknirschend: "So werde ich jetzt also wiedervereinigt, ob es mir paßt oder nicht. Und also, pragmatisch, wie unsereins nun mal geworden ist, paßt sie mir, die deutsche Einheit, weil sie mir zu passen hat." Im Jahr 1997 entdeckte Fischer, "wie sehr ich doch Marxist geblieben bin."
Während sich das Volksfrontbündnis anschickt, seine Macht mit Hilfe der von Lafontaine aus der "Schmuddelecke" herausgeholten PDS-Kommunisten in die Zukunft zu verlängern, und gleichzeitig Nebelkerzen einer "großen Koalition" aufstellt, bereitet sich die CDU auf ihren Parteitag und "Wahlkampfauftakt" am 28. Oktober in der Dortmunder Westfalenhalle vor. Die offizielle Einladung verspricht den Gästen um 13 Uhr ein "Warm-up" und (wenn sie entsprechend aufgewärmt sind): "Songs by Freddie Mercury and Queen".
Gewiß wird sich Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), von dem man hört, er strebe in das Kabinett einer Bundeskanzlerin Angela Merkel, über seine Einladung zum CDU-Parteitag ganz besonders freuen. Hatte er doch noch 2004 im Spiegel festgestellt: "Zum Patriotismus gehört die Liebe zur deutschen Sprache, zur deutschen Kultur." Muß er sich nun auf die Kabinettssprache Englisch einrichten? Frau Merkel sollte ihre Wahlkampfplaner zurückpfeifen, denn unsere Sprache wird nicht verständlicher durch den Gebrauch von Anglizismen, nicht international wertvoller, nicht reicher in ihrer Ausdrucksform, sondern einfach nur lächerlich ... Das aber darf die Union sich nicht leisten. |
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