|
Die Urlaubswelle schwemmt viele Besucher auch durch deutsche Lande. Fremde und selbst so mancher Einheimische fühlen sich bemüßigt, die Sehenswürdigkeiten, die Deutschland zu bieten hat, einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Schlösser und Burgen stehen da in vielen Bundesländern an erster Stelle. Schloß Solitude in Stuttgart, Nymphenburg in München, natürlich Neuschwanstein, Charlottenburg in Berlin und Sanssouci in Potsdam, Wilhelmshöhe in Kassel oder das Schweriner Schloß, die Albrechtsburg in Meißen, Schloß Wörlitz und das Residenzschloß in Weimar sind Anziehungspunkte für Touristen aus nah und fern. Doch darüber hinaus gibt es Kleinodien der Raumkunst zu entdecken, die nicht so sehr bekannt sind und dennoch zu den besonderen Kostbarkeiten zählen.
Als sich 1990 der "Facharbeitskreis Schlösser und Gärten in Deutschland" gründete, war man sich darüber im klaren, daß es ein langer Weg sein würde, den man beschreiten mußte. Bisher haben sich (nur) zehn in öffentlicher Trägerschaft landesweit tätige Schlösserverwaltungen der verschiedenen Bundesländer zusammengefunden, um ihre Erfahrungen bei der Bewahrung, Pflege und Präsentation ihrer Schätze auszutauschen. Es ist zu hoffen, daß auch die anderen Länder wie etwa Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sich zu diesem Schritt entschließen könnten.
1999 begründete der Facharbeitskreis eine Buchreihe, in der nach den Titeln "Reisezeit - Zeitreise zu den schönsten Schlössern, Burgen, Gärten, Klöstern und Römerbauten in Deutschland" und "Gartenlust - Lustgarten - Die schönsten historischen Gärten in Deutschland" nun der Bandraumkunst - kunstraum. Innenräume als Kunstwerke - entdeckt in Schlössern, Burgen und Klöstern in Deutschland erschienen ist (Verlag Schnell + Steiner, Regensburg, 256 Seiten mit 419 farbigen Abb., gebunden, 14,90 Euro). Dieser offizielle Führer der Schlösserverwaltungen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin-Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zeichnet sich nicht nur durch brillante Fotografien und knapp gefaßte Informationen aus, sondern auch durch Angaben, die für Touristen durchaus wichtig sind, etwa über Anfahrtswege und Öffnungszeiten. Deutlich wird aber vor allem das vielfältige Spektrum der Raumkunst in Deutschland, die hohe Qualität der Kunstwerke und nicht zuletzt auch die einmalige Kunstfertigkeit der Handwerker und Künstler vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert.
"Historische Raumkunstwerke sind keine alltäglichen Erlebniswelten", erläutert Helmut-Eberhard Paulus, Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, in dem vorliegenden Band. "Sie erschließen sich in ihrem Wesen erst auf den zweiten Blick. Das besondere Erlebnis besteht im Dialog mit den Künsten, ihrem Spiel in Raum und Zeit und den darin eingebun-
denen geistesgeschichtlichen Zeugnissen. Man muß sich daher Zeit nehmen, ihre Vielschichtigkeit zu erkunden, durch Betrachtung von innen und von außen, mit Durchschreiten und darin Verweilen, durch das Sammeln von Eindrücken ... Raumkunstwerke sind die anschauliche Umsetzung einer schon von Aristoteles formulierten Erkenntnis: ,Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. "
Paulus weist auch auf die Gefahren durch Abnutzung oder auch Nutzungsänderung hin, die im Laufe der Jahre die Raumkunstwerke zerstört oder verändert haben. Die einzigartigen Ensembles bedürfen daher einer besonderen konservatorischen Fürsorge. "Da Raumkunstwerke zudem außerordentlich empfindlich auf jeden geschichtlichen Wandel reagieren, zeichnet sie als Träger geschichtlicher Überlieferung eine besondere Qualität aus", so Paulus. "Mit der von ihnen geleisteten Spiegelung ganzer historischer Prozesse vermögen sie nicht nur Jahreszahlen und einzelne Stilepochen zu belegen. Sie sind
Dokumente des längerfristigen Umgangs mit Zeitzeugen, ihrer Rezeption oder Verdrängung im Laufe der Geschichte."
Das Buch führt schließlich nicht nur zu den bekannten Glanzlichtern, sondern auch zu Schlössern, Burgen und Klöstern abseits der großen Touristenströme. Wie imposant ist doch die barocke Pracht des Bibliothekssaals im Kloster Schussenried, wie originell das Schweizer Zimmer im Schloß Schwetzingen, wie prächtig das Porzellan- und Spiegelkabinett im Schloß Weikersheim. In Aschaffenburg zieht die Nachbildung einer römischen Küche im sogenannten Pompejanum alle Aufmerksamkeit auf sich, in Landshut die Narrentreppe auf Burg Trausnitz, die mit Szenen aus der italienischen Commedia dell
arte ausgemalt ist. Zauberhaft mutet das Otaheitische Kabinett im Schloß Pfaueninsel an, mit seiner Innenausstattung das "unberührteste Zeugnis des Berliner Frühklassizismus". Ein Meisterwerk preußischer Eisengußkonstruktion ist die Wendeltreppe im Jagdschloß Granitz auf der Insel Rügen. Kurios dagegen wirkt der Hasensaal im Schloß Augustusburg in Sachsen. "Nach dem Motiv der ,verkehrten Welt vollführen Hasen hier auf illusionistischen Portalen, Kamin- und Fensterumrahmungen zahlreiche Handlungen des gesellschaftlichen und geistigen Lebens", liest man im Katalog. Dort erfährt man auch Interessantes über den Monströsensaal im Schloß Moritzburg. Im Jagd- und Lustschloß Augusts des Starken trägt der Audienzsaal diese seltsame Bezeichnung. Sie geht zurück auf die Präsentation krankhaft gebildeter Geweihtrophäen, darunter ein 66-Ender (!), den König Friedrich I. von Preußen einst erlegte.
Kurioses, Monströses und Seltsames findet sich in vielen der in diesem Band vorgestellten Schlösser und Burgen. Vor allem aber wird der Blick auf kunstvoll Gestaltetes gelenkt, ein erster Blick, der Lust macht auf mehr und der zu neuen Entdekkungsreisen verführt. Peter van Lohuizen |
|