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Europäischer Krisenherd: Machtpoker am Dnjestr

 
     
 
Der Irak-Konflikt beunruhigt die Deutschen, ja er läßt fast schon Hysterie aufkommen. Jahrzehntelang war man daran gewöhnt, zumindest bei den großen Fragen der Weltpolitik nicht mehr mitreden zu dürfen.

Das hatte auch seine bequeme und beruhigende Seite: Die alleinige Aufteilung der Macht zwischen Amerikanern und Sowjets entwöhnte die Menschen zwischen Rhein und Oder (und leider auch ihre Eliten) von allen - oft schwierigen - außenpolitisch
en Überlegungen. Die Verantwortung fiel den anderen zu.

Kommunisten kungeln mit "Erzfeind" USA

Die Umstellung auf die neuen Gegebenheiten einer multipolaren Weltordnung erfordert Zeit. Doch die gibt es kaum. Denn noch während die Irak-Krise ihrem Höhepunkt entgegensieht, droht die Aussicht auf weitere Konflikte, die räumlich sogar deutlich näher liegen könnten. Ein Krisenherd, dessen Konturen sich jenseits der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit abzeichnen, ist der Machtkampf in und um Moldawien und das von diesem abgespaltene Transnistrien. Das hat schon früh über den "Machtpoker um Bessarabien" berichtet (Folge 4/2000). Die wichtigsten Gegenspieler blieben seither gleich: Rußland, die USA, die EU, Rumänien und die Ukraine. Zu ergänzen wäre allerdings China, das - man höre und staune - Transnistrien Militärhilfe leistet.

Das bis dahin sowjetische Moldawien erklärte im August 1991 die Unabhängigkeit. Eine territoriale Erblast der Moskauer Fremdherrschaft bereitet seither größte Sorgen: Stalin schlug dem 1940 von Rumänien weggenommenen Bauernland im Jahre 1953 einen schmalen, aber hochindustrialisierten Landstrich ukrainischen Gebietes östlich des Dnjestr hinzu und ernannte beides gemeinsam zu einer neuen Sowjetrepublik.

Doch ebenso wie die multikulturelle UdSSR im Großen erwies sich auch die Moldawische SSR nicht als dauerhaft. Nachdem slawische Sezessionisten im Dezember 1991 unter der Obhut der in der Gebietshauptstadt Tiraspol stationierten 14. Sowjet-Armee ein "Unabhängigkeits-Referendum" vorbereitet hatten, eskalierte der Konflikt. Im Folgejahr kam es zum Bürgerkrieg zwischen der rumänisch geprägten "Republik Moldova" und der "Dnjestr-Republik", die fortan politisch faktisch selbständig und wirtschaftlich eng mit Rußland und der Ukraine verknüpft war.

Für mehrere Jahre blieb dann folgende Konstellation maßgeblich: In Moldawien gab es eine zum Teil heftige Auseinandersetzung über das Selbstverständnis. War man der "kleine Bruder Rumäniens", dessen Wiedervereinigung mit dem Mutterland nur eine Frage der Zeit ist? Oder fühlte man sich als eigener Staat mit einer in Jahrzehnten politischer und kultureller Fremdbestimmung sowie slawischer Massenzuwanderung entstandenen eigenen Kultur?

In Transnistrien, das zu etwa je einem Drittel von teils russifizierten Ukrainern bzw. Rumänen und Russen bevölkert ist, schien alles einfacher: Man konservierte das Sowjeterbe - Lenindenkmäler sind bis heute allgegenwärtig - sowie die Rolle als wichtiger Außenposten des russischen Militärs, die Schutz vor einem Übergriff aus Moldawien verhieß, das an seinen Ansprüchen auf Transnistrien festhielt.

Spätestens ab dem Jahrtausendwechsel begannen sich die Verhältnisse jedoch zu ändern. Moldawien hatte sich vom rumänischen Erbe gelöst. Mit der Parlamentswahl vom Februar 2001 gelangten sogar die Kommunisten an die Macht. Der neue Regierungschef Vladimir Voronin versprach einen "Schutzwall gegen die Nato" zu errichten und Russisch zur zweiten Amtssprache zu machen.

Doch auch die Vereinigten Staaten bekamen in Moldawien einen "Fuß in die Tür". Als Türöffner dienten unter anderem das Engagement der verbündeten Türkei im Süden des Landes, wo das Turkvolk der Gagausen beheimatet ist, und das US-freundliche Rumänien.

Zur selben Zeit leistete die Führung der Dnjestr-Republik unter ihrem "Präsidenten" Igor Smirnov hinhaltenden Widerstand gegen den von Rußland hingenommenen, von der Ukraine, der EU und den USA geforderten bzw. finanziell schmackhaft gemachten Abzug der 14. Sowjet-Armee. Nachdem diese einst über 20 000 Mann starke Armee inzwischen bis auf höchstens 1500 russische Soldaten Transnistrien verlassen hat (vertragsgemäß hätte der Abzug allerdings Ende 2002 abgeschlossen sein müssen), läßt sich sagen, daß der Kreml eine Niederlage erlitten hat.

Der transnistrische Politiker Walerij Lizkaj klagte am 14. Januar gegenüber der Zeitung Moskowskij Komsomolez: "Rußland zieht sich von hier unentwegt zurück. Bald wird es keinen Nagel mehr geben, auf den man eine russische Mütze hängen kann." In letzter Zeit mußte Moskau weitere Demütigungen hinnehmen, denn der erst als Unterstützer geltende Voronin erweist sich als widerspenstiger, zunehmend um ein "westliches Image" bemühter Politiker.

Nicht genug, daß auch er auf einem restlosen Abzug der russischen Truppen beharrt, im November 2002 genehmigte das von den Kommunisten beherrschte Parlament die doppelte Staatsbürgerschaft mit Rumänien, und wenig später besuchte Voronin sogar den vermeintlichen Erzfeind Bush in Washington und sprach mit diesem über das "Separatismus-Problem" mit der international nicht anerkannten Dnjestr-Republik.

Nachdem die moldawischen Behörden im Oktober 2002 einseitig eine Zollgrenze am Dnjestr errichtet hatten (womit sie indirekt die Selbständigkeit Transnistriens anerkannten), kam es zu einem monatelangen "Zollkrieg" zwischen den beiden wirtschaftlich ohnehin daniederliegenden Ländern.

Daß dieser Druck und die De-facto-Anerkennung in Tiraspol Wirkung zeigten, beweist die jüngste Entwicklung: Im Februar einigten sich Voronin und Smirnow auf eine gemeinsame Verfassung, die das abtrünnige Gebiet in eine Föderation eingliedern würde.

Doch auch wenn derzeit in Bess-arabien die USA und die Europäische Union am Gewinnen sind, sollte man sich nicht täuschen: Der Kreml besitzt noch Trümpfe - etwa den Einfluß des Energieriesen Gazprom, die "ethnische Karte", also die fortbestehende Sympathie des slawischen Bevölkerungsteils, und den in Transnistrien stetig wachsenden Einfluß der zuletzt wieder rußlandfreundlicheren Ukraine.

Der Schaden eines weiteren (Bürger-) Krieges in dieser Region wäre nicht auszudenken. Schon die Kenntnis der Munitionslager im transnistrischen Colbasna ist abschreckend genug. Es handelt sich um das größte Arsenal des russischen Militärs im Ausland. Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes wurde dort Munition aus dem ganzen Ostblock gesammelt. Heute sollen es noch 39 Tonnen sein.

Heimwärts: Fast alle russischen Soldaten haben Transnistrien verlassen
 
     
     
 
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