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Fast wie ein Pakt mit dem Teufel

 
     
 
Ich empfinde eine unglaubliche Leidenschaft für Europa" und "Demokratie ist nicht nur eine System. Sie ist gegründet auf dem Votum der Wähler". Mit diesen hehren Worten begann in Straßburg der Halbzeitpräsident des am 11. Juni dieses Jahres gewählten Europäischen Parlaments, der spanische Sozialist Josep Borrell sein neues Amt, wenngleich sich auch nur 45,5 Prozent der Wähler im europäischen Durchschnitt und noch weniger in Deutschland (43 Prozent) an dieser Europawahl beteiligt hatten. Damit hatten die Bürgerinnen und Bürger Europas in einer Art "Volksabstimmung" deutlich genug gemacht, was sie von diesen Wahlen und diesem Parlament halten.

Doch Borrell, der 388 der 700 abgegebenen Stimmen erhielt, wird sein Präsidentenamt nur für die erste Halbzeit der Legislaturperiode behalten. Anfang 2007 ist nämlich der deutsche christlich-demokratische Politiker Hans-Gert Pöttering von der Europäischen Volkspartei
(EVP) "dran" und wird für die zweite Halbzeit Präsident des Hohen Hauses. Ausgehandelt wurde diese sozialistisch/christlich-demokratische Allianz "hinter den Kulissen". Die Tageszeitung Die Welt schrieb dann auch, daß Pöttering einer der ersten war, auf Borrell "zuschoß und ihm seine Hand wie eine Trophäe entgegenstreckte". Eingefädelt hatte den Handel Pöttering selbst mit dem deutschen SPD-Abgeordneten Martin Schulz, dem Vorsitzenden der Sozialisten im Europaparlament.

Die merkwürdige Amtsteilung des Präsidenten (anglizismen-süchtige deutsche Kultusminister würden wohl sagen, dieses präsidentielle "job-sharing") ist das Ergebnis von Kungelei und Mauschelei, in die auch das Amt des EU-Kommissionspräsidenten einbezogen wurde, das prompt zwei Tage später dem als konservativ eingestuften José Manuel Barroso aus Portugal in der Nachfolge des Italieners Romano Prodi zufiel. Die Welt wußte auch zu berichten, daß in den Parlamentsgebäuden in Straßburg und Brüssel in den Wochen vor der Abstimmung "gekungelt und gemauschelt, geschachert und gefeilscht" wurde, "was das Zeug hält", natürlich nur, "um die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu sichern" und die "Stabilität der Institutionen", wie Pöttering meinte. Zaghafte Kritik kam sogar aus der eigenen Fraktion, in der sich einige Abgeordnete "mehr politische und weniger technische Allianzen" wünschten. Sie hätten gern den Gegenkandidaten Borrells, den ehemaligen polnischen Außenminister Bronislaw Geremek, Überlebender des Warschauer Ghettos, Bürgerrechtler und Vertrauter von Lech Walesa, vor der Wahl wenigstens einmal angehört ...

Natürlich wurde das Ganze von Theaterdonner begleitet, der zum großen Spiel gehört: die Liberalen tönten angesichts des soziali-stisch/christdemokratischen Handels, das sei eine unnatürliche Allianz, die im allgemeinen nur in Krisen- und Kriegszeiten gerechtfertigt sei. Der unvermeidliche grüne Cohn-Bendit nannte das Ganze "idiotisch" und sagte, die EVP hätte sogar den Teufel gewählt, damit Pöttering wenigstens eine Halbzeit Präsident werden könne.

Nur drei Wochen vor dieser Wahl des Parlamentspräsidenten hatte bei der Debatte zum Vertrag über eine europäische Verfassung im Deutschen Bundestag in Berlin die Vorsitzende der Unionsfraktion Angela Merkel noch gesagt, das vereinte Europa müsse "parteipolitisch unterscheidbar" sein, womit sie gewiß recht hatte. Angesichts des Borrell-Pöttering-Schulz-Handels müssen die Bürger allerdings einmal mehr zur Kenntnis nehmen, daß phrasenhafte Forderungen und europarlamentarische Realität weit auseinander klaffen.

Angesichts dieses Starts wundert sich niemand mehr, daß der "Wanderzirkus" des Europarlaments zwischen Brüssel und Straßburg noch immer fortgesetzt wird. In jedem Jahr fährt zehnmal ein Troß von Lastkraftwagen zwischen Brüssel und Straßburg hin und her, wofür im Etat mehr als 200 Millionen Euro vorgesehen werden. Die Ausschußsitzungen des Parlaments finden in Brüssel statt, das Generalsekretariat ist in Luxemburg angesiedelt. Insgesamt arbeiten 4.228 Personen für das Parlament. Doch das alles verursacht vergleichsweise geringe Kosten angesichts der bürokratischen europäischen Umverteilungsmaschinerie der Kommission in Brüssel mit über 23.000 Dauerplanstellen. Für eine Reform an Haupt und Gliedern der Europäischen Union ist die Zeit gekommen. Zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, der neben der militärischen auch die wirtschaftliche und soziale Verteidigung notwendig machte, wäre es die Aufgabe des Parlaments die politischen Strukturen den neuen Aufgaben des wiedervereinigten europäischen Kontinents anzupassen. Die ersten Wochen des Europarlaments geben dafür nicht viel Hoffnung.

Wetten, daß die wenigen Wahlberechtigten, die sich am 11. Juni dieses Jahres an der Europawahl beteiligt haben, das jetzt schon bereuen, nachdem sie von diesem Start des Europarlaments in seine neue fünfjährige Legislaturperiode erfahren haben?

 
     
     
 
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