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In der Redaktion herrschte die übliche Aufregung, schließlich galt es, die neue Ausgabe herzustellen. Da kündigte sich Besuch an: Karl Dall sei unten in der Rezeption, ob er hochkommen könne. Die älteren Kollegen hatten für diese Ankündigung nur ein belangloses Schulterzucken übrig, rief der Name Dall doch keine großen Begeisterungsstürme hervor. Die jüngeren hingegen waren aus dem Häuschen: Karl Dall? Das war doch ... Was wollte der Spaßvogel denn ausgerechnet in der Redaktion des es? "Endlich mal was los in der Bude", brummelte einer und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen.
Da war er auch schon, der Besuch aus der Blödelszene, die damals Furore machte: Karl Dall, der mit seinem etwas müden Auge und dem schrägen Humor noch heute über die Bildschirme flimmert und über die Kleinkunstbühnen tingelt, stand leibhaftig in den Hamburger Redaktionsräumen. Warum ausgerechnet Hamburg, warum ausgerechnet bei den Ostdeutschland?
Nun, in Hamburg wollte Dall mit seiner Gruppe "Insterburg & Co." (er war neben Peter Ehlebracht und Jürgen Barz ein Co.) auftreten, und die Ostdeutschland kannte er durch seine Ausbildung bei der Druckerei Rautenberg in Leer. Was lag da also näher, als Freikarten für das Konzert im Hamburger Audimax anzubieten, Karten, die natürlich von den jüngeren Kollegen gern genommen wurden, denn Ingo Insterburg und seine Truppe gehörten damals, vor fast 30 Jahren, zu den Glanzlichtern in der Comedyszene, wenn sie auch damals noch nicht so genannt wurde. Wenn ich mich recht entsinne, hieß die Show denn auch "Herzlichen Glückwunsch zur Eintrittskarte". Und Glück mußten die Fans schließlich haben, wenn sie die Auftritte der vier Blödelbarden live erleben wollten. Oft drängten sich die Zuhörer auf engstem Raum, kämpften um jeden Sitzplatz, nur um die frechen Sprüche und Lieder der "Insterburger" zu hören.
Gegründet hatte die Gruppe 1964 Ingo Insterburg, zuvor war er mit dem legendären Enfant terrible des deutschen Theaters und Films, Klaus Kinski, als Guitar-Ingo durch die Lande gezogen und hatte Brecht-Lieder interpretiert. Bis 1979 dauerte die Erfolgsgeschichte von "Insterburg & Co.". Auch einige Umbesetzungen hielt die Truppe aus, bis Ingo sich entschloß, allein weiterzumachen. Der Berliner Zeitung erzählte er von seiner Entscheidung: "Ich muß mich allein auf der Bühne nicht mehr so zurückhalten, damit auch die Kollegen gut aussehen. Außerdem müssen die Gagen nicht geteilt werden, und endlich habe ich auch die ganzen weiblichen Fans für mich allein!"
Und nun tourt er allein durch die Lande, schießt sein Feuerwerk frecher Sprüche ab, ist "feinsinnig und kunstsinnig", "sensibel und romantisch", "hochmusikalisch, einfallsreich und vor allem urkomisch", wie die Rhein Zeitung befand. Und die Wilhelmshavener Zeitung fragt, was auch alle Fans staunend wissen wollen: "Ingo Insterburg ist fast vier Jahrzehnte, unabhängig von kurzlebigem Zeitgeist und schrillen Modeströmungen, bemerkenswert und unangefochten gleich geblieben. Wie macht er das nur?" Seine geistvollen, witzigen und geistreichen Anmerkungen zu allen Widrigkeiten des Lebens, über Liebe und Laster kommen Ingo Insterburg in der für ihn so typisch bedächtigen Art über die Lippen, daß man sich eines Schmunzelns nicht erwehren kann. Dazu spielt er virtous auf den witzigsten Instrumenten, wobei die "Singende Säge" noch harmlos ist. Zu "Guten Abend, Gut Nacht" von Johannes Brahms spielt der bekennende Nichtraucher und Vegetarier auf Geige und Gitarre - kaum zu glauben - gleichzeitig.
In seinen Lebenserinnerungen "Die ersten 23.456 Tage meines Lebens - keine Dichtung und nur Wahrheit" (Berlin Concert Verlag, 620 Seiten mit 190 sw und 16 farbigen Abb., Broschur, 23 Euro), die mittlerweile schon in 2. Auflage vorliegen, beschreibt er in launigen Worten auch seine Kindheit im ostdeutschen Insterburg, wo sein Vater eine Drogerie und eine Foto-Handlung betrieb. Schon der Vater gab bei Familienfesten Zauberkunststücke, kleine eigene Gedichte zum Besten und spielte auf der Geige, indem er den Bogen zwischen den Zähnen hielt. Eine Begabung, die Sohn Ingo zur Perfektion ausgebaut hat, sehr zur Freude seiner Fans, die er in jedem Alter findet. - Apropos Alter: Am 6. April ist Ingo Insterburg 70 Jahre alt geworden - aber kein bißchen leise! Peter van Lohuizen
Ingo Insterburg: Wortakrobat mit hintersinnigem Humor Foto: Berlin Concert
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