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Es wirkte alles recht friedlich in diesen Tagen Mitte März 1945: Laue Frühlingsluft weckte die Natur zu neuem Leben, kaum etwas deutete darauf hin, daß der Zweite Weltkrieg nunmehr bei uns, mitten in Deutschland, stattfand und bereits in seine schreckliche, blutige Endphase ein-
getreten war. Hin und wieder Alarm, runter in den Luftschutzkeller, zwischen Einkellerungskartoffeln und Mostfässern banges Warten, ob das unheilvolle Dröhnen am Himmel sich auch diesmal in Richtung Stadt verziehen würde. Ansonsten aber merkte man nicht viel davon, daß die Front immer näherrückte.
Wir - meine Mutter, meine Oma, meine Schwester und ich - waren schon seit drei Jahren hier evakuiert; unsere Heimatstadt Düsseldorf, der "Schreibtisch " des Ruhrgebiets, galt bereits in der Frühphase des Krieges als besonders gefährdet. Doch hier, in unserem friedlichen Dorf 16 Kilometer nördlich von Würzburg, bekamen wir davon nicht viel mit.
Mit einer Ausnahme: Meine ältere Schwester, damals acht Jahre, besuchte in Würzburg die Blindenschule. Wenn sie am Wochenende bei uns war, erzählte sie von den großen Feuerwerken, die dort abends mit riesigem Donnergetöse veranstaltet würden - das Schicksal
der Blindheit bewahrte sie davor, die brutale Realität des Krieges mit all seinem Schrecken wahrzunehmen.
In diesen Märztagen aber erfaßte meine Mutter eine seltsame Unruhe. Zuvor hatte sie sich eingeredet, "die" (gemeint waren Engländer und Amerikaner) würden es doch nicht wagen, Krieg gegen blinde Kinder zu führen. Nun aber wurde die Angst immer größer, bis sie sich eines morgens mit den Worten verabschiedete: "Ich hole jetzt die Helga heim!" Tatsächlich schaffte sie die für damalige Verhältnisse gewaltige Reise nach Würzburg und zurück an einem einzigen Tage. Und so saßen wir abends in unserem Kartoffel/Most/Luftschutzkeller, hörten das Dröhnen der Flugzeugmotoren am Himmel und wenig später die Detonationen in der Ferne. Klein-Helga klagte, warum man sie nicht wenigstens diesen einen Abend mit diesem "tollen Feuerwerk" in ihrem Blindeninternat gelassen habe.
Am nächsten Tag erfuhren wir, daß es in Würzburg kein Blindeninternat mehr gab - die Barockstadt war zu 80 Prozent in Schutt und Asche gelegt worden.
Innerhalb von 17 Minuten hatten 236 Maschinen der "Bomber Group No. 5" der britischen Luftwaffe etwa 200 Sprengbomben à 500 Kilogramm und fast 400.000 Stabbrandbomben über der Stadt abgeworfen. Über 80 Prozent des gesamten Wohnraums, nahezu alle öffentlichen Gebäude, die Kulturdenkmäler von unschätzbarem Wert und 35 Kirchen wurden total zerstört. Damit wurde die Main-Metropole neben Dresden und Pforzheim zur meistzerstörten Stadt Deutschlands. Im Flammeninferno starben 5.000 Menschen, darunter 3.000 Frauen und 700 Kinder. Was es in der Mainmetropole an militärischen Zielen gegeben hatte, war bereits bei den vorangegangenen Luftangriffen (insgesamt 335 Bombenalarme hatten die Würzburger zu ertragen) zerstört worden.
Zwei Wochen nach dem Terrorangriff vom 16. März nahmen amerikanische Truppen die Trümmerwüste - im historischen Zentrum waren nur sieben Häusrer unbeschädigt - ohne Widerstand ein. Wenig später empfahl Gouverneur Wagoner, Chef der amerikanischen Militärregierung in Bayern, die traurigen Überreste der Stadt als "Museum für Kriegsverwüstungen" stehen zu lassen und in der Nähe ein neues Würzburg zu bauen. Doch die Würzburger, von denen nur 5.000 den Feuersturm unverletzt überstanden hatten, fanden sich nicht damit ab. Sie räumten zweieinhalb Millionen Kubikmeter Trümmer ab und bauten die Stadt rund um die barocke Residenz wieder auf. Und auch wenn es Jahrzehnte dauerte - heute ist die meistzerstörte wieder eine der schönsten Städte Deutschlands.
Schutt und Asche: 80 Prozent der Barockstadt wurden zerstört. Hier die Augustiner Straße mit Blick auf den Grafeneckart (Rathaus). Foto: Geschichtswerkstatt Würzburg |
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