|
Der mächtige Drang des russischen Staatskonzerns "Gasprom" auf den europäischen Energiemarkt bereitet den Verantwortlichen immer wieder Kopfzerbrechen. Denn "Gasprom" beschränkt sich nicht auf die für den Westen so wichtige Belieferung mit dem Rohstoff Gas, sondern versucht gezielt, sein Monopol an den Pipelines durch Zukäufe auszuweiten.
"Die Europäer lieben zwar die russische Kultur, aber sie haben von dem Land als Ganzes die Vorstellung von einem wilden Bären, der am Gashahn dreht", sagte ein serbischer Diplomat gegenüber der Journalistin Julia Nesterowa (Nachrichtenagentur "Rosbalt" in London), die Spezialisten befragt und Artikel über "Gasprom" in verschiedenen europäischen Presseorganen ausgewertet hat.
Nach ihren Erkenntnissen fürchten die Europäer vor allem eine zu große Abhängigkeit von russischer Energie aufgrund des Vorgehens gegen die Ukraine am Neujahrstag. Seitdem gebe es Bestrebungen, "Gasprom" das Monopol über die Leitungen streitig zu machen, dem Konzern den Zugang zum europäischen Markt zu versagen sowie die Abhängigkeit von russischem Gas zu mindern.
Rußland habe zwar 1994 mit der EU einer Energiecharta zugestimmt, sie jedoch bis heute nicht ratifiziert. Präsident Putin sprach zuletzt in Sotschi davon, eine "für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit" anzustreben. Immer wieder versicherte er, Rußland werde Energielieferungsverträge mit dem Westen als zuverlässiger Partner einhalten. Putins Politik, die immer mehr autokratische Züge annimmt, hat im Westen an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Man befürchtet, sich mit der Öffnung des europäischen Marktes mit dem Kapital eine Politik in die Gemeinschaft zu holen, die vom Kreml gesteuert wird.
Diese Haltung stößt bei Russen auf Unverständnis. "Gasprom" liefert 67 Prozent seines Exports in europäische Staaten. Daß der größte Energiekonzern dem Staat unterstellt ist und dessen Chef Alexej Miller dem Präsidenten nahesteht, sei nichts Außergewöhnliches, so Julia Nesterowa. Auch im Westen gebe es staatliche Energieversorger. Staatliche Konzerne kontrollierten sogar weltweit 90 Prozent der bekannten Ressourcen. Rußland mache nur das, was alle machen.
Für ein Land wie Deutschland gebe es in naher Zukunft keine ernstzunehmenden Alternativen zum russischen Gas. Im Gegensatz zu Frankreich, wo Gas aus Algerien importiert und stark in die Atomenergie investiert wird.
Julia Nesterowa zufolge leide vor allem Deutschland nicht an einer Abhängigkeit von russischem Gas, sondern profitiere sogar gemeinsam mit "Gasprom" von dem Bau der geplanten Ostsee-Pipeline.
Eine einheitliche europäische Position läßt sich nach Meinung der befragten Experten nicht erkennen. Zudem seien die Möglichkeiten der EU, Druck auf Rußland auszuüben, äußerst begrenzt. Gegenwärtig werde die EU sich eher nach den Regeln Moskaus richten. Vielleicht werde jedes Land eigene bilaterale Beziehungen zu Rußland aufbauen. Eines jedoch stehe außer Zweifel: Es gebe keinen Weg an Rußland vorbei. Es ist ein Land mit kolossalen Reserven an Öl, Gas und Bodenschätzen. Kein anderes Land hat solch ein Potential zu bieten. Abhängigkeit besteht bereits auf beiden Seiten: Europa benötigt Energie, Rußland braucht Absatzgarantien. Wenn die Europäer zuviel Druck auf Rußland ausüben, könnte der Kreml Gas tatsächlich als politische Waffe mißbrauchen.
Zu ähnlichen Betrachtungen kommt Peter Scholl-Latour in seinem neuen Buch "Rußland im Zangengriff" (Propyläen Verlag, 425 Seiten, geb., 24,90 Euro). Scholl-Latour verteidigt Putin als Staatsmann, der im Westen als Autokrat verurteilt wird, jedoch nur russische Interessen gegen das Vordringen der Nato und den Druck islamistischer Separatisten vertritt. Es sei nicht verwunderlich, daß sich die russischen Beziehungen zu Nato und EU nach deren Osterweiterung abgekühlt haben, hatte doch nach der deutschen Wiedervereinigung die atlantische Allinanz sowohl Gorbatschow als auch Jelzin versprochen, ihren Bündnisbereich nicht bis zu den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion voranzutreiben.
Die brutale Unterdrückung der Tschetschenen erklärt der Autor mit Putins Befürchtung, der ethnische und islamistische Aufstand könne auf sämtliche autonome Republiken des Nordkaukasus übergreifen. In Rußland leben 20 Millionen turkstämmige Muslime bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang des russischen Staatsvolkes um 800000 Menschen jährlich. Im Westen drängen Nato und EU an die Grenzen Rußlands, in Fernost sind die dünnbesiedelten sibirischen Weiten dem Bevölkerungsdruck und Wirtschaftsboom Chinas ausgesetzt. Hier vermutet Scholl-Latour einen kommenden Krisenherd, der unvermeidlich extrem nationalistische Reaktionen hervorrufen wird. Dabei geht das Schicksal der einstigen Supermacht
Rußland Deutschland und Europa unmittelbar etwas an.
Für Deutschland sieht Scholl-Latour nur zwei Möglichkeiten: Entweder man entscheidet sich für eine vielversprechende ökonomische Partnerschaft oder für einen neuen Kalten Krieg. Auf jeden Fall müsse Deutschland, entweder mit oder ohne europäische Unterstützung eine souveräne Außenpolitik und Strategie gegenüber Rußland entwickeln.
Zieht man allerdings in Betracht, daß der Kreml Gegner durch seinen Staatssicherheitsdienstes FSB mittels krimineller Methoden ausschalten läßt, ist die Sorge der Europäer begründet. Der Giftanschlag auf den im Londoner Exil lebenden Ex-KGB-Agenten Alexander Litwinenko, beweist, daß der FSB seine Tätigkeit bereits auf Europa ausgeweitet hat. Litwinenko wollte den Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja, mit der er befreundet war, aufklären.
Foto: Trauma: "Gasprom" könnte europäischen Partnern den Gashahn zudrehen. (eastway) |
|