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Rund vier Jahrzehnte sind vergangen, da die Freundeskreis Ostdeutschland am 1. Mai 1957, dem Geburtstag von Ottomar Schreiber, dem unvergessenen ersten Sprecher der Freundeskreis Ostdeutschland, einen Ostdeutschen Kulturpreis stiftete. Geehrt wurden Frauen und Männer, die Außergewöhnliches geleistet haben, die mit ihrem Werk ein Bild der Heimat zeichneten und mit dazu beigetragen haben, daß das Land Ostdeutschland, seine Menschen und die kulturellen Leistungen nicht in Vergessenheit geraten sind. Frauen und Männer, die mit ihrem Werk und ihrem Leben Vorbild waren und sind, getreu den Worten des großen Ostdeutschland Johann Gottfried Herder : "Ohne Begeisterung geschah nichts Großes und Gutes auf der Erde..."
In außergewöhnlicher Weise trifft das eben zitierte Herdersche Motto auf die diesjährige Preisträgerin zu. Gudrun Schmidt, 1941 in Glatz/Schlesien geboren, wurde 1946 aus ihrer Heimat vertrieben und wuchs in Bielefeld auf. Seit 1960 ist sie Journalistin, war zunächst beim "Westfalen-Blatt" in Bielefeld beschäftigt, seit 1969 arbeitet sie als Redakteurin, Kommentatorin und Moderatorin für den Westdeutschen Rundfunk. Nach dem Tod des Redakteurs Franz Kausch übernahm sie im November 1990 die Sendereihe "Alte und neue Heimat".
Die Sendereihe "Alte und neue Heimat" des Westdeutschen Rundfunks ist in der Medienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland einzigartig. An jedem Sonntag und an jedem kirchlichen Feiertag widmet sie sich 40 Minuten lang einer Thematik, über die nur selten etwas zu hören ist: Sie berichtet über die deutschen Ostgebiete sowie über die Gegenden Ost- und Südosteuropas, in denen Deutsche einmal zu Hause waren oder noch zu Hause sind.
Ein Blick ins Programm: "Schüler auf den Spuren der Deutschen in Böhmen" heißt es da. Oder: "Christlicher Aufbruch im nördlichen Ostdeutschland", "Die deutschsprachige Literatur in Prag", "Ein Haus der Verständigung in Königsberg", "Oberschlesier helfen Aussiedlern".
Geschichten, menschliche Schicksale, Mundart, Brauchtum und Kultur das Themenspektrum ist reichhaltig und bietet eine große Abwechslung.
Vor allem seit der Osten und Südosten Europas nicht mehr durch Mauer und Stacheldraht vom Westen abgetrennt ist, nutzen Gudrun Schmidt und ihre Mitarbeiter die Gelegenheit, in die deutschen Ost- und Siedlungsgebiete zu reisen. Denn überall finden sich deutliche Spuren einer uralten deutschen Kultur, ja, oft auch noch Menschen, die stolz darauf sind, trotz lebensbedrohender Verfolgung und leidvollen Jahren ihrer deutschen Tradition treu geblieben zu sein. So erfährt der Hörer von einer heute zumeist vergessenen oder absichtlich verschwiegenen deutschen Kultur, die ein untrennbarer Teil der deutschen und damit auch der europäischen Identität ist.
Zu danken ist dies Gudrun Schmidt, die mit ihrer einfühlsamen Moderation und ihren aktuellen, interessanten und von scharfem Intellekt gekennzeichneten Kommentaren die Sendung prägt. Wenn Gudrun Schmidt zu den freundschaftlichen Veranstaltungen und Treffen fährt, dann kommt nicht wie so häufig eine nur schlecht vorbereitete und mit einseitigen Vorurteilen behaftete Journalistin, da kommt jemand, der mit Herzblut bei der Sache, der persönlich engagiert, gut informiert und bereit ist, ehrlich zu berichten.
Die Sendereihe "Alte und neue Heimat" ist bei aller Aktualität selbst schon Geschichte. Sie wird in diesem Jahr, exakt am 17. Oktober, 45 Jahre alt und ist damit eine der ältesten Hörfunksendungen im Westdeutschen Rundfunk. Die eigentliche Bedeutung der Arbeit von Gudrun Schmidt wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß nach der Umstrukturierung beim Bayerischen Rundfunk die Sendung "Alte und neue Heimat" die letzte noch in der Bundesrepublik Deutschland existierende "Vertriebenensendung" ist.
Hier wird ein Prozeß deutlich, den man getrost unter dem Begriff "Vertreibung aus der Öffentlichkeit" subsumieren muß. Begründet wird dies in aller Regel und ganz offen mit der schon klassischen Kampfparole aus der Werkstatt des Kalten Krieges, daß es sich bei den Vertriebenen um Ewiggestrige handele, die mit ihrer nostalgischen Unbelehrbarkeit dem europäischen Gemeinschaftsleben, wenn nicht gar dem Frieden in Europa im Weg stünden.
Ihnen die Foren zu entziehen, wird als Akt des Anstands, also des Fortschritts und der politischen Vernunft, begriffen, für den man sich getrost stolz auf die Schultern klopfen darf. Das selbstverständliche Interesse der Vertriebenen an ihrem eigenen Schicksal wird von den öffentlichen Meinungsmachern als ein egoistisches Gruppeninteresse abgetan, um dessen Vertretung nicht die Gesellschaft besorgt zu sein habe und für dessen publizistische Wahrnehmung die allgemeinen Medien sich folglich überhaupt nicht hergeben müßten.
Und hier liegt genau der Irrtum. Die unter dem Einfluß des Stalinismus entstandene und genährte Abneigung gegenüber den Flüchtlingen und Vertriebenen ist nicht nur ein Unrecht, begangen an den Landsleuten, die mehr als alle anderen für die Naziverbrechen zahlen mußten, sondern zeugt von einer erschreckenden Ignoranz gegenüber der eigenen Geschichte: die Deutschen bringen sich mit der Verdrängung der Vertreibung und der Geschichte und Kultur des deutschen Ostens um einen wichtigen Teil ihrer eigenen Identität. Daß Jugendliche nichts von einem deutschen Königsberg und einem Immanuel Kant wissen, das trägt zum Verständnis mit unseren östlichen Nachbarn nicht bei, denn deren Geschichte ist mit einer derartigen Geschichtsklitterung ebenfalls verdrängt und unverstanden geblieben.
Nur wer sich den eben skizziertn Hintergrund deutlich vor Augen führt, kann die Arbeit von Gudrun Schmidt und ihren Mitarbeitern richtig würdigen. Sie leistet mit ihrer journalistischen Arbeit einen bedeutenden Beitrag zur Erhaltung des ostdeutschen Kulturerbes, sie beschreibt die Heimatvertriebenen in ihrer Rolle als Brückenbauer zwischen dem Westen und dem Osten Europas und sie nimmt sich in dankenswerter Weise der Probleme der Aussiedler an.
Die Freundeskreis Ostdeutschland würdigt den journalistischen Einsatz Gudrun Schmidts gegen die systematische Verdrängung Ostdeutschlands aus dem öffentlichen Bewußtsein und für den Erhalt der Geschichte und Kultur Ostdeutschlands durch die Verleihung des Ostdeutschen Kulturpreises für Publizistik 1998.
Mein Dank gilt auch dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit, das den Kulturpreis über das Haus des Deutschen Ostens in München mitfinanziert hat.
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