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Während Europa politisch und wirtschaftlich zusammenwächst, fürchten besorgte Spanier, daß ihr Land den entgegengesetzten Weg geht und am Ende sogar auseinanderfällt. Grund: Die Unabhängigkeitsforderungen einiger Regionen nehmen trotz (oder wegen?) wachsender Kompromißbereitschaft der Madrider Zentralregierung seit Monaten an Heftigkeit zu. Vor allem das Baskenland und Katalonien bringen ihre Autonomieansprüche immer drastischer vor. Sie fühlen sich als eigenständige Nationen, denen jedoch die Selbständigkeit fehle - so sehen es zumindest ihre politischen Vertreter.
Seit dem 14. März hat eine neue Regierung unter dem Sozialist en José Luis Rodríguez Zapatero das Zepter in der Hand und zeigt sich zunehmend empfänglicher für die Ansinnen der Regionalisten. Die sanfte Linie steht im krassen Gegensatz zu der des ehemaligen Ministerpräsidenten Aznar von der konservativen Volkspartei PP, der die Politik der "harten Hand" vorzog. Seine Anhänger hielten dies für den einzigen Weg, das Königreich zusammenzuhalten. Kritiker indes warfen ihm vor, durch seine mangelnde Dialogbereitschaft die Regionalisten erst richtig aufgestachelt zu haben.
Zapatero hat mit dem Kurs seines Vorgängers radikal gebrochen. Er sucht den "Dialog", hält die "harte Hand" für eine Sackgasse. Doch Zapatero hat noch einen weiteren, sehr eigennützigen Anlaß zur Kooperation: Ihm fehlt die absolute Mehrheit im Parlament, weshalb er auf die Unterstützung der kleinen regionalistischen Parteien angewiesen ist, um als Regierung, handlungsfähig zu bleiben.
Hierbei stellt sich der frischgebackene Premier vor allem mit den katalanischen Sozialisten gut, die ihm vor vier Jahren mit ihren Stimmen trotz seines Außenseiterstatus zum Vorsitz der spanischen sozialistischen Partei (PSOE) verholfen und somit den Weg in das Amt des Premierministers geebnet haben.
Pascual Maragall, der sozialistische Ministerpräsident Kataloniens, ließ kürzlich verlauten, daß Spanien sich einer Zukunft öffne, die es erlaube, ohne "Denkverbote" über neue politische Wege nachzudenken. Zu deutsch: Alles ist möglich. Auf seiner Pressekonferenz am 21. Juli in Madrid nach einem Gespräch mit Zapatero schürte Maragall Ängste vor einer Abspaltung seiner Heimat, indem er tönte, daß Katalonien "ein Staat ist, wie ein Staat betrachtet werden will und wie ein Staat handeln wird". Diese extremen Äußerungen verursachen sogar vielen Parteifreunden Magenschmerzen.
Zapateros Gesprächsbereitschaft, seine höflichen Umgangsformen, mit denen er um Zusammenarbeit wirbt, werden von den einen als ein Neuanfang, von den anderen hingegen als Anfang vom Ende des Königreichs Spanien gesehen. Per Salamitaktik werde die Einheit des Landes unterhöhlt mit dem Ziel, sie schließlich ganz zu zerstören, so die Skeptiker.
Als sichtbares Beispiel für die wahren Ziele der Regionalisten erscheint den entmachteten Konservativen insbesondere der Plan Ibarretxe, den der gleichnamige baskische Ministerpräsident vergangenes Jahr ins Spiel gebracht hat. Nach diesem Plan sollen die Basken mittels eines Referendums entscheiden, ob sie eine Abspaltung von Spanien wollen. Aznar verbot nicht nur das Referendum, er ließ auch gleich ein Gesetz auflegen, wonach sogar das Abhalten bloßer Meinungsumfragen, die verfassungsrelevante Themen berühren, mit fünf Jahren Gefängnis bestraft würde. Damit war Ibarretxe matt gesetzt.
Nun indes berichtet die Tageszeitung El País von einer Neuauflage dieses Vorhabens mit einem Ibarretxe, der sich diesmal mehr Chancen für die Durchsetzung seiner Ziele ausrechnet. Würde es zu ernsthaften Verhandlungen über den "Plan Ibarretxe" kommen, wäre automatisch auch Frankreich mit seinem baskischen Süden, der ja zu der neuen Nation gehören soll, betroffen. Dies könnte zu Spannungen in der Europäische Union führen.
Schritt für Schritt, so scheint es zumindest, kommen die Regionalisten ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit näher. Immer neue Anträge werden aufs Tapet gebracht. Das Boot Spanien steuert in gefährliche Gefilde. Kapitän Zapatero versucht es mit einer Strategie abhängig machender Geschenke. In Madrid versprach er Maragall, die nationale Aufsichtsbehörde für Telekommunikation CMT aus der Hauptstadt in die katalanische Metropole Barcelona zu verlegen. Die Verlagerung weiterer Staatsinstitutionen, die bislang alle in Madrid konzentriert sind, in Provinzhauptstädte soll folgen. Auf diese Weise werden so Zapateros Kalkül, die Regionen ihre Zugehörigkeit zu Spanien auch als sehr handfesten materiellen Vorteil erfahren, denn selbstverständlich zögen diese Einrichtungen mit ihren reizvollen Arbeitsplätzen und der Kaufkraft ihrer Mitarbeiter sofort wieder ab, wenn sich ihre neue Heimatprovinz vom Gesamtstaat trennen sollte.
Ob die Taktik aufgeht, kann nur gemutmaßt werden. Kataloniens Maragall machte am 21. Juli jedenfalls unmißverständlich klar, daß die Verlagerung der CMT "weder die einzige noch die letzte" Forderung gewesen sei. So hatte man sich bereits wochenlang intensiv mit dem Plan befaßt, eine eigene katalanischen Fußballnationalmannschaft aufzustellen. Nach lauten Protesten schmort die Idee bis auf weiteres still vor sich hin. Vom Tisch ist sie nicht, und ihre Symbolkraft wird von niemandem unterschätzt.
Auch die baskische Regierung hat ständig Neues im Köcher: Nach und nach werden ihre Forderungen nach einer leichteren Haft für die Eta-Terroristen umgesetzt. Hatte man sie früher in Strafanstalten weit von ihrer Heimatregion untergebracht, überlegt Madrid auf baskisches Drängen hin, sie ins Baskenland zurückkehren zu lassen, was zwar für ihre Familienmitglieder schön, aber auch für ihre Terrororganisation von großem Vorteil wäre. Beschlossene Sache ist bisher die universitäre Weiterbildung der Eta-Sträflinge.
Wohin steuert Zapatero, fragt sich das Land. Wieviel wird er sich noch abringen lassen, um die Unterstützung der Regionalisten nicht zu verlieren, wie viele Versprechen muß er noch erfüllen, auf wie viele Kompromisse noch eingehen? Napoleon riet der Nachwelt einst: "Der beste Weg seine Versprechen zu halten, ist niemals welche zu geben." Doch versprochen hat der sympathische spanische Premier schon eine ganze Menge. Und jedes Verprechen zieht neue Begehrlichkeiten nach sich, wie die unvermindert harte Sprache von Kataloniens Maragall am 21. Juli in Madrid verriet.
Gefährlicher Verbündeter: Zapatero (r.) mit dem katalanischen Sozialisten Pascual Maragall
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