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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Peinlich ist der Inhalt von Susanne Osthoffs Taschen für ausnahmslos alle Beteiligten. Die Bundesrgierung steht da wie ein Steuersünder, dessen geklautes Schwarzgeld wieder aufgetaucht ist. Man zahle kein Lösegeld, hatten Kanzlerin Merkel und ihr Außenminister Steinmeier stolz gedonnert. Tja. Wir, die wir das von Anfang nicht geglaubt haben, können uns nun gegenseitig zu unserem Durchblick gratulieren und „Siehste!“ über die Straße rufen. An den Stammtischen bricht wie immer in solchen Situationen der eitle Wettstreit aus, wer „es“ als erster bemerkt hatte. Dabei spüren wir jedoch bald, wie abgeschmackt das eigentlich ist, dieses „Hab’-ich-ja-gleich-gesagt“-Gedröhne, und fühlen uns prompt unwohl.

Frau Osthoff selbst hat nun mit dem „erhärteten“ Verdacht zu kämpfen, daß sie ihre Entführer (oder sollte man sagen: Gastfamilie?) besser kannte, als ihrem Ruf gut täte. Ihre Auslassungen über die humanitären Motive jener Iraker
erklärte sie später damit, daß sie den Entführern habe versprechen müssen, nur in netten Worten von ihnen zu reden. Das sei eine Bedingung gewesen für ihre Freilassung. Damals schon rauften wir uns die Haare über die Frage, mit welchen Mitteln Entführer einer aus ihren Klauen befreiten Geisel noch anschließend „Bedingungen“ stellen können. Auch das Anfang dieser Woche veröffentlichte Vorgespräch zu Osthoffs berüchtigtem ZDF-Interview mit Moderatorin Marietta Slomka lädt zum Räuspern ein: Es geht zu wie beim Kamelhandel. Susanne Osthoff spricht die gesamte Zeit hindurch von nichts anderem als Geld.

Osthoffs Bruder Rudolf sieht die ganz große Verschwörung am Wabern. Alles eingefädelt vom Außenamt, vom BKA, der Bag-dader Botschaft und wer weiß noch wem alles. Demnach hält Berlin die mysteriöse Archäologin für mindestens so gefährlich wie Washington Osama bin Laden. Wozu sonst dieser Aufwand?

Für Frank-Walter Steinmeier ist sie wohl vor allem eines: lästig. Was soll er jetzt machen? Zunächst versucht es Berlin noch mit der Grundregel des erfolgreichen Lügners: Bleib bei deiner Version, egal wie durchschaubar sie ist. Außenamtssprecher Martin Jäger verwies Anfang der Woche allen Ernstes noch einmal auf die früheren Erklärungen von Merkel und Steinmeier, daß Deutschland Lösegeldzahlungen ablehne. Unweigerlich fühlt man angesichts solcher Chuzpe an Saddam Husseins Regierungssprecher erinnert, der noch beteuerte, es gebe keine amerikanischen Panzer in Bagdad, als er in deren Geschützdonner schon kaum noch zu verstehen war. Oder an US-Außenminister Colin Powell, der später kleinlaut einräumen mußte, daß er dem UN-Sicherheitsrat Unsinn erzählt hat über angebliche Biowaffenlabore des Irak.

Die Schmach, als Kriegstreiber angeklagt zu werden, der mit erlogenen Gründen das Feuer eröffnet hat, bohrt seitdem im Herzen der einzigen Weltmacht. So blätterte man, auf Entlastung bedacht, tief in den „Lehren aus der Geschichte“, um einen anderen Schuldigen für den Irakkrieg zu finden. Auf Seite 1914–18, Kapitel Versailles, fand sich endlich ein idealer Kandidat für die Anklagebank.

„Kriegsgrund aus Deutschland“ titelte vergangenen Sonntag eine große deutsche Zeitung und erzählte, wie US-amerikanische Stellen so um die Jahreswende 2003/2004 zu streuen begannen, daß die „angeblichen Kriegsgegner in Deutschland eine gehörige Portion Mitschuld an dem Desaster im Irak“ trügen. Und das kam so: Beim deutschen BND hatte sich ein irakischer Asylbewerber gemeldet, der wilde Geschichten über Biowaffenlabors in seinem Land daherredete, an denen er selbst gearbeitet haben will. Im Mai 2000 ließen die Deutschen es zu, daß ein US-Agent den zu jenem Zeitpunkt leicht alkoholisierten Iraker befragte. Wo waren Sie im Mai 2000? Egal wo Sie waren, Sie werden kaum bemerkt haben, daß Deutschland sich in jenem verhängnisvollen Monat kriegsschuldig, also zumindest „gehörig mitschuldig“ gemacht hat. Aber so war’s, denn von nun an ging alles wie mit Entente-Öl geschmiert: Der US-Ermittler gab das Gefasel an seine Vorgesetzten in Übersee weiter. Dort war man begeistert und wollte den Mann gleich noch mehrfach vernehmen.

Doch die deutsche Seite hatte offenbar Lunte gerochen und rückte den Spinner kein zweites Mal heraus, sondern gab bloß dessen konfuse Eingebungen an Washington weiter und versah sie mit dem spaßverderbenden Zusatz, daß der Kerl nicht gerade als seriöse Quelle zu betrachten sei. Egal, die US-Regierung freute sich über das Gestammel dermaßen, daß Colin Powell sogar mit schlechten Kopien jener Zeichungen vor den UN-Sicherheitsrat trat, die der BND nach den Angaben des Irakers angefertigt hatte und auf denen angeblich die Waffenlabors abgebildet waren.

Hätte sich der Irakkrieg zum bejubelten Durchmarsch entwickelt, hätte Washington die Episode mit dem irrlichternden Aufschneider sicherlich schnell vergessen. Aber die Angelegenheit ging bekanntlich krachend in die Binsen, weshalb US-Medien jetzt gern einen „deutschen“ Verursacher zur Hand nehmen.

Lanciert wurde die Erkenntnis von der Mitschuld der Deutschen am Krieg von der „Los Angeles Times“. Dieselbe Zeitung enthüllte im November 2005 mit Berufung auf hochrangige Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums übrigens auch die Geschichte mit den beiden BND-Agenten, die angeblich Bombenziele für die US-Luftwaffe ausbaldowert haben sollen. Das ist zwar Unsinn, wie sich herausstellte, aber sicherlich bleibt an den Deutschen trotzdem was hängen. Schließlich sind bei diversen, mit „chirurgischer Präzision“ ausgeführten Angriffen statt der erhofften irakischen Regimegrößen bloß harmlose Zivilisten zerfetzt worden. Deutsche Erstschuldige sind da allemal schicklicher als amerikanische. Die Beziehungen braucht das nicht zu belasten; die Deutschen haben längst ein innig erotisches Verhältnis zum Schuldigsein entwickelt und übernehmen mit bizarrer Wonne nur zu gern die „Verantwortung“. Sollte es demnächst zu einem scheußlichen Krieg mit dem Iran kommen, werden wir anschließend interessiert in der „Los Angeles Times“ lesen, wie Berlin das wieder gemacht hat.

Ein weiteres bevorzugtes Thema der Deutschlandaufklärung in US-Medien ist das unentwegt aus allen Ecken des germanischen Unterholzes keimende Nazitum, das in immer neuer Verkleidung sein Haupt erhebt. In Berlin tarnt es sich jetzt gar als ausländerfreundlich. In deutscher Perfidie hat die „Landeskommission Berlin gegen Gewalt“ Flugblätter herausgegeben, die sich in arabischer, türkischer, russischer, polnischer und serbokroatischer Sprache an die Eltern erwischter jugendlicher Ladendiebe wendet – mit „Anregungen und Hinweisen, wie sie sich gegenüber ihren Kindern verhalten können“. Amtlicherseits wird behauptet, das diene der ausländerintegrierenden Kriminaltätsverhütung. Aha? Aber warum bitte erscheint das Blatt nicht auch in französischer, englischer und schwedischer Sprache? Soll hier etwa nahegelegt werden, daß junge Ladendiebe bevorzugt aus ganz bestimmten Ländern kommen? Selten hat sich Diskriminierung so fahrlässig getarnt wie hier. Wie konnte Claudia Roth das übersehen? Wo bleibt ihre Empörung?

Wahrscheinlich war die Grünen-Vorsitzende durch einen anderen Gefahrenherd abgelenkt, der ihre volle Entrüstung beansprucht. Schüler und Lehrer einer Realschule in Berlin-Wedding haben gemeinsam beschlossen, daß nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Pausenhof künftig nur noch deutsch gesprochen werden darf. Das Pikante: 90 Prozent der Schüler sind ausländischer Herkunft. Das kann und will Roth nicht hinnehmen, Integration dürfe man schließlich nicht „erzwingen“, sagt sie und läuft nun gemeinsam mit türkischen Verbänden Sturm gegen die (Selbst-) Diskriminierung per „Pausenhofreglement“.

Soweit ist es schon: In Berlin diskriminieren sich junge Ausländer selbst

 
     
     
 
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