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Zu Weihnachten bekommen die Deutschen für ihr unmögliches Benehmen im Sommer 2006 die Rute zu spüren - es wurde auch Zeit. In seiner Studie "Deutsche Zustände" hat das Bielefelder "Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung" ermittelt, was der "Party-Patriotismus" des berüchtigten Fußballsommers angerichtet hat. Institutsforscher Wilhelm Heitmeyer hat als Folge der Fahnenschwenkerei einen gesteigerten Patriotismus ausgemacht. Deutscher Patriotismus aber sei, so der Wissenschaftler, eine Gefahr für den sozialen Frieden, für die Demokratie und für die Migranten im Lande.
Er nennt bedrückende Beispiele für die patriotismusbedingte Erosion des Guten: Die Hälfte der Bundesbürger sähen im Islam keine "bewundernswerte Kultur" mehr, habe er herausgefunden. Ganz anders als wir dachten, hat das nichts mit Fundamentalismus, mit Bomben, Taliban oder Ehrenmorden zu tun, sondern ist das böse Ergebnis des neuen Nationalgefühls, wie Heitmeyer herausgefunden hat. Deshalb rät er von Kampagnen à la "Du bist Deutschland" für die Zukunft dringend ab. Sie befördern rechtslastiges Denken, denn statt den Islam zu bewundern, lieben die Deutschen nach den aufschreckenden Erkenntnissen seines Instituts nun eher ihre eigene Geschichte und Nation.
Kurz vor und kurz nach der WM fragten die Bielefelder im Volk herum, und siehe da: Davor waren nur 37 Prozent stolz auf die deutsche Geschichte, danach 46. Der Anteil derer, die "stolz darauf sind, Deutscher zu sein", stieg gar von 79 auf 86 Prozent! Ein Menetekel für Demokratie und multikulturelle Gesellschaft, alarmiert Heitmeyer.
Warum kommt er erst jetzt damit? Vermutlich brach der heitere Teutonensturm schlicht zu unerwartet los. Im Mai noch konnten Mahner das halbe Land zur "No-Go-Area" erklären und es vor der ganzen Menschheit als Herz der fremdenfeindlichen Finsternis entlarven. Da war die Welt noch in Ordnung, da gaben nicht tanzende, herzende, singende Jungdeutsche den Ton an, sondern besorgte Talkshow-Debattierer und Sprecher staatlich finanzierter Stiftungen, Institute und Initiativen.
Dann aber, über Nacht und ohne jede Vorwarnung, wehte sie der schwarz-rot-goldene Eissturm vom Podest. Schwer gezaust und tief verstört krochen sie durchs Flaggenmeer und brachten keinen zusammenhängenden Satz mehr heraus. Erinnern Sie sich an das Gestammel von Claudia Roth, die das fußballbegleitende Deutschlandfest in wirren Worten zum Multikulti-Sieg umdeuten wollte, derweil ihr die deutschen Fahnen links und rechts um die Ohren schlugen?
Es war grauenvoll, alle haben damals versagt. Selbst das Ausland ließ uns im Stich: Statt uns mit seinen sonst so zuverlässigen "Sorgen und Ängsten vor einem erstarkenden deutschen Selbstwertgefühl" zur Seite zu springen, fraternisierten die zwei Millionen angereisten Fans mit den jubelnden Deutschen und wollten gar nicht mehr aufhören, den Gastgebern anerkennend auf die Schulter zu klopfen.
Resultat: Die Deutschen mochten sich auf einmal selbst und die Welt mochte sie auch. Davon traumatisiert flohen Warner wie Wilhelm Heitmeyer in ihre Studierstuben und hielten Kriegsrat, wie die alte Ordnung wiederherzustellen sei, in der die Deutschen ihren festen Platz in der Giftmülltonne der Völkerfamilie haben. Ein halbes Jahr später ist es dem Bielefelder Institut endlich gelungen, das widerliche Völkerknutschen als Ausdruck von Ausländerfeindlichkeit zu überführen. Ziemlich spät, aber immerhin.
Heitmeyers Untersuchung ist übrigens als Langzeitstudie angelegt, die noch bis 2012 laufen soll. Genug Zeit, um den Krankheitserreger der patriotischen Pest zu erforschen. So plötzlich diese Epidemie auch auszubrechen schien, sie muß doch Ursachen haben? Der Fisch beginnt ja bekanntlich vom Kopf her zu stinken. War es nicht Bundespräsident Köhler, der seine Vaterlandsliebe schon beim Amtsantritt 2004 frech bekannte, statt, wie es sich gehört, Asche regnen zu lassen? Vielleicht war das der Punkt, an dem viele Deutsche ihre Scham überwanden und zugeben mochten, daß sie sich eigentlich ganz gern im Spiegel sehen und nur zur Beruhigung der diskutierenden Klasse öffentlich gegen den Wind spucken.
Überhaupt der Köhler - da haben wir uns ja was eingefangen. Statt denen, die ihm das schöne Amt gegeben haben, in ewiger Dankbarkeit dienstbar zu sein, hat er dreisterweise einen Blick ins Grundgesetz geworfen und dort entdeckt, daß er das Staatsoberhaupt ist. Er tut seitdem so, als sei das geschriebene Recht gewichtiger als das parteipolitische Gewohnheitsrecht. Letzteres besagt, was Vorgänger Richard von Weizsäcker einst in den klärenden Satz fügte: "Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht."
Die Koalition fühlte sich in ihren Besitzrechten denn auch schwer verletzt, als Köhler ihr zwei Gesetzesentwürfe vor die Füße warf, weil er sich an den heißen Nähten nicht die Finger verbrennen wollte. Grundgesetz? Wem gehört dieses Land denn bitteschön?
Beunruhigend ist, daß Köhler im Volk erhebliche Sympathien genießt. Man müßte den Pöbel irgendwie beschäftigen, damit er keine Zeit hat, die geplante Demontage des Präsidenten durch Unmutsbekundungen in Umfragen zu stören. Früher hieß das Rezept "Brot und Spiele". Die Kassen sind aber zu leer, um dem Volk das Maul mit sozialen Wohltaten zu stopfen.
Angela Merkel hat die zündende Idee: Wir schicken die ganze Blase kollektiv in die Warteschleife! Die Kanzlerin möchte dafür den alten DDR-Notruf 115 wiederbeleben, über welchen die Bürger künftig ihren Ärger mit der Bürokratie entleeren sollen - die "Bürokratie-Hotline". Daß an solchem Ärger kein Mangel entsteht, dafür sorgt Schwarz-Rot schon selbst mit einer endlosen Flut von neuen Gesetzen, deren Flickwerk sich bereits vor ihrer Verabschiedung zerlegt.
Die "Hotline" soll 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche freigeschaltet sein. Unter 115 erreichen die Anrufer einen Automaten, der sie bittet, eins, zwei oder drei zu wählen für Bundes-, Landes- oder Gemeindezuständigkeit. Damit man weiß, welche Ziffer die richtige ist, schlägt die Kanzlerin vor, ein Internet-Grundgesetz beizufügen, aus dem wir dann die Zuständigkeit eigenständig ermitteln können. Und wer kein Internet hat? Nun, der kann sich das Grundgesetz ja per SMS schicken lassen. Zur sachgerechten Benutzung der "Hotline" benötigt man also lediglich fundierte Kenntnisse in Staatsrecht und viel Zeit - willkommen in der Merkelschleife.
Einmal durchgedrungen nimmt eine reizende Stimme die Beschwerde auf und legt sie zu den anderen. Es wird allerdings viele Stimmen brauchen, bei den Deutschen dürfte sich einiges angesammelt haben an Bürokratiefrust! Wer soll die vielen Telefonisten bezahlen? Womöglich müßte man das Callcenter vom teuren Deutsch- ins günstigere Ausland verlegen, um Steuergroschen zu sparen: "Zur Entgegennahme Ihrer Beschwerde verbinden wir Sie gern mit unserem freundlichen Service-Center im karpatho-ukrainischen Wwwrrrjitschnidschij. Vielen Dank für Ihren Anruf!" Dudelmusik. "Hierr Särvis-Säntrr Wwwrrrjitschnidschij, Sä wiiinschän?"
Ach nein! Da könnten die Gewerkschaften was dagegen haben: "Arbeitsplätze müssen in Deutschland bleiben!" Bitte sehr - das wird dann aber teuer. Eine Beschwerde-Maut wäre die Lösung: "Dieser Anruf kostet 49 Cent pro Minute aus dem Festnetz, bitte warten ..." Wieso "Maut"? Weil "Gebühr" oder gar "Steuer" bei den reichlich gerupften Bürgern mittlerweile unfreundliche Reaktionen hervorruft, weshalb die CSU auch darauf aus ist, den nächsten Raubzug durch unsere Taschen als "Maut" getarnt zu unternehmen. Schlaue Jungs eben. |
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