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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Die "Bionade"-Lobby, deren Agenten ihr undurchsichtiges Treiben bis in die Reihen der Zentrale hinein tragen, hat den Autor dieser Zeilen nach Lektüre des jüngsten Wochenrückblicks erbarmungslos in die Zange genommen. Der Saft erinnere keineswegs an Kompostsirup, eine Gemeinheit sei es, das zu schreiben. Auf so etwas reagiert man am besten in der weisen Art erfolgreicher Politiker, die mit ihrer Masche immer durchgekommen sind: Vielen Dank für die konstruktive
Kritik, die immer willkommen ist. Wir werden das ernsthaft prüfen. Nächste Frage bitte!

Was die nächste Frage sein sollte, ist mit einem Blick aus dem Fenster geklärt: Wo ist der Sommer hin? Irgendwo am Oberrhein soll er jüngst noch gesehen worden sein. Auf dem Rest des Landes liegt ein patschnasser, kalter, grauer Lappen. Daß Ex-Großbäcker Kamps ausgerechnet jetzt auf Fischbrötchen umsattelt, kann kein Zufall sein. Wer jetzt noch ins Freibad steigt, will entweder so alt werden wie Ernst Jünger oder geht einem skurrilen Tapferkeitsritual nach, um anschließend bei seinem Arzt oder Apotheker zu landen. Der Rest bleibt in der Stube hocken, wo er vor Langeweile auf dumme Gedanken kommt.

Renate Künast hat unübersehbar zulange in den Regen gestiert, wobei ihr eine Idee in den Döskopp gestiegen ist, die nur bei Sauwetter glänzt. Ihr Grübeln galt der Konkurrenz. War Schröder nicht 2002 auf seinem "deutschen Weg" zum schon abgeschriebenen Sieg marschiert? Konnte nicht Münte mit seiner apokalyptischen Predigt gegen die undeutschen "Heuschrecken" zumindest für einen kurzen Moment die Herzen der Gehartzten für sich erwärmen? Ja, und Lafos Abwehrschlacht gegen die "Fremdarbeiter"? Jetzt steht der bei zwölf Prozent, während Renate Künast immer noch am Fenster steht und auch was abhaben will. Ihre Kampagnen-Idee: "Deutsche, kauft nicht vom Ausland!", insbesondere keine Babypuppen aus China, Turnschuhe aus Vietnam und keine türkischen Strampelhosen. Das ist doch mal eine Wahlkampfparole, oder?

Sie hätte der Sommerlochhit werden können, wurde es aber ungerechterweise nicht. Bis auf einige höhnische Kommentare aus der Wirtschaft und ein, zwei künstlich aufgeregte Oppositionelle rührte sich verflucht wenig im Land. Künast hat allen Grund, sich über die flaue Resonanz zu beklagen. Wäre sie nämlich Ministerin einer bürgerlichen Regierung, dann hätte ihre Idee sofort gezündet. Die Linke hätte ihr einen ganz großen Bahnhof allseitiger Empörung bereitet. Sicher wäre überdies eine Erwähnung bei der nächsten Lichterkette herausgesprungen. Wissenschaftler würden darangehen, die faschistische Ursuppe im Kleinhirn der Ministerin unter die Lupe zu nehmen. Witzbolde hätten herausgefunden, daß die "Grünen" ja auch schon in die Jahre gekommen sind und daß Grünes im Herbst nunmal zu bräuneln beginnt, bevor es runterfällt auf die Oppositionsbank.

Der "Kauf deutsch!"-Aufruf wäre also ein richtiger Schlager geworden wie die lustige Brutto-Netto-Geschichte der Frau Merkel. Die ist zwar im Vergleich zu Künasts Tagesbefehl eine lahme Ente, doch sie kommt von der richtigen Seite, weshalb sie eine ganze Woche lang wiederholt wurde.

Die CDU-Kandidatin ist soviel Aufmerksamkeit gar nicht gewöhnt und fühlt sich daher ziemlich matt. Auch ihre Union macht einen zittrigen Eindruck. Der schon errungen geglaubte Wahlsieg erscheint mit einem Male so sicher wie russische U-Boote oder amerikanische Raumfähren. Man ist nervös.

Dem Kanzler geht es demgegenüber von Tag zu Tag prächtiger. Bei Christiansen hielt er Hof wie ein Pascha und geht ebenso frohgemut auf Wahlkampftour. Bei einer Direktwahl hätte er die dritte Amtsperiode schon im Sack. So einfach ist das aber nicht. Gewählt werden nämlich Parteien, und die müssen irgendein knalliges Thema finden. Wenn sie aber keines zur Hand haben? Macht nichts: Sobald unsereinem der Gesprächsstoff ausgeht, reden wir eben über andere Leute. Bevorzugtes Thema: Wer mit wem? Schmutzige Gerüchte über Nachbars Affären sind seit jeher der Renner am Gartenzaun. Manchmal kommt allerdings was raus und dann gibt es Krieg. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, und Politik ist bekanntlich die Fortsetzung des Dorftraschts auf anderer Ebene. So geht es dieser Tage in Berlin um nichts anderes mehr als um die Frage, welche Partei mit welcher nach dem 18. September vier Jahre gemeinsam verbringt.

Eigentlich interessant. Doch für uns Zuschauer ist es zunehmend schwieriger herauszufinden, wer da nun wessen Freund und wessen Feind ist. Es geht zu wie bei einer Verwechslungskomödie im Bauerntheater. In immer hastigerer Folge treten ständig neue Paarungen aus den Hintertüren und verschwinden wieder. Dann prügeln sich zwei, die sich eben noch gemocht haben, und versöhnen sich erneut.

Der Reihe nach: Etliche SPD-Minister kuscheln sich zur Union rüber, die sie eben noch mit Mist beworfen hatten. Dann springt der Kanzler mit lautem Krach dazwischen. Was aber gar nicht nötig gewesen wäre, denn die Union will gar keine "Große Koalition", behauptet sie. Man wolle mit den Gelben Karriere machen, lassen die Schwarzen verbreiten. Dafür ist der Ton zwischen beiden wiederum verdächtig rauh. Links und rechts hauen sich die angeblichen Traumpartner Union und FDP ihre Verfehlungen um die Ohren. Die SPD schwört indes offiziell den Grünen Treue, während gleichzeitig ihre Minister der Union zublinzeln. Die Gehörnten sind verständlicherweise außer sich. SPD und PDS schließlich versichern sich gegenseitig derart demonstrativ ihrer innigen Abneigung, daß man schon wieder mißtrauisch werden muß. Wer findet da noch durch?

Die Gysi/Lafontaine-Bande noch am ehesten: Sie umschleicht das Hauptfeld wie eine zottige alte Hyäne, die geduldig auf ihre Chance lauert. Daß die kommen wird, hat der SPD-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft, Michael Neumann, bereits versprochen. Neumann - im politischen Stil die vollidentische Wiedergeburt seines Hamburger Mitgenossen und abgemeierten SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz - schwänzelt bereits heftig in Richtung Ultralinkspartei. Jetzt könne man zwar noch nicht mit denen koalieren, aber für später sei alles offen. Passend dazu gähnen SPD-Politiker immer dann, wenn sie müde sind vom aufreibenden Hochzeitsbasar der Parteien, heraus, daß "alle Demokraten miteinander koalitionsfähig sind". Daß sie damit auch die Hyäne meinen, darf als sicher gelten.

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