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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Wie gern hätten wir an jenem Donnerstag bei der Kieler SPD-Fraktionssitzung unterm Tisch gesessen. Die Zahl der Verdächtigen wird auf sieben geschätzt, jeder Vierte wäre das, dem die eigenen Genossen insgeheim zutrauen, den Heide-Dolch geführt zu haben. Da muß eine Stimmung gewesen sein! Heide Simonis hatte sich vor diesem Tag immer gefürchtet, an dem sie nicht mehr Ministerpräsidentin ist. Dieses Gefühl von Macht und Wichtigkeit wolle sie nicht missen, hatte sie dem Magazin Cicero gebeichtet. Gleichwohl klebe sie nicht an ihrem Stuhl. Nein, das nicht, sie glaubte sich viel mehr längst mit ihm verschmolzen.

Aber was soll sie jetzt tun? Den Rest ihres Lebens das "Ferkel" jagen, das sie mit dem Stich durchs Machtpolster ums Amt gebracht hat? Wird schnell langweilig. Alternative: Viele Politiker gehen nach dem Ende ihrer Parlamentskarriere einfach wieder der Tätigkeit nach, die zuvor ihr Leben erfüllt hatte. Heide Simonis verkaufte, bevor sie ihr Wichtigkeit entdeckte, Büsten
halter in Japan (nein, kein Witz, hat sie wirklich gemacht - immerhin für einen deutschen Hersteller, also!). Doch ob sie die Welt der Körbchen auf gelber Haut noch einmal in den Bann zu ziehen vermag? Zudem: Was, wenn die Japaner dem europäischen Beispiel der "Dienstleistungs-Richtlinie" folgen? Dann muß sie sich womöglich gegen Billigkonkurrenz aus irgendeinem Niedriglohnland durchsetzen und das Stürzgeschirr für die Dame unterm Selbstkostenpreis abgeben. Das zehrt selbst die dickste Politikerpension bald auf.

Solche Szenarien schrecken unsere europäischen Politiker wenig ab. Sie wollen an der ins Gerede gekommenen Richtlinie unbedingt festhalten, zu unser aller Bestem. Die Dienstleistungs-Richtlinie verordnet, daß jeder in der EU nach den Regeln seines Heimatlandes beschäftigt werden kann, egal in welchem Land er arbeitet. Heißt das "rasen wie in Deutschland, etwaige Strafzettel bezahlen wie in der Slowakei und dabei moglen dürfen wie ein griechischer Finanzminister"? Die Chef-Europäer hätten es sicher gern, wenn wir das jetzt dächten und laut in die Hände klatschten. Leider erkannten zuviele europäische Arbeitnehmer realtiv schnell, daß die neue Verordnung eher zur Folge haben dürfte, daß womöglich nur die noch eine Stelle finden, die bereit sind, mit dem Hilfsarbeitertarif der Hohen Tatra die Lebenshaltungskosten von München zu bestreiten und dafür zu hausen wie die Straßenkinder in der Kanalisation von Bukarest. Diese Aussicht nimmt der europäischen Vision einiges von ihrem magischen Glanz, was zu Demonstrationen geführt hat.

In Brüssel ist man ehrlich zerknirscht wegen der unerwarteten Proteste. Da habe es wohl ein Vermittlungsproblem gegeben, wird selbstkritisch zugegeben. Soll heißen: Trotz aller Bemühungen konnte diesmal nicht verhindert werden, daß die Normalidioten auf der Straße den Inhalt einer EU-Verordnung tatsächlich kapieren - noch vor ihrem unabänderlichen Inkrafttreten.

Kommissionspräsident Barroso tritt die Flucht nach vorn an und erklärt den Deutschen, wie sehr gerade sie von der EU profitierten. Das ist nett gemeint und der Portugiese will dem Hauptnettozahler gewiß nichts Böses. Irgendwo muß die Kohle ja herkommen für die ehrgeizigen Projekte in seinem Land. Allerdings haben die Deutschen mit den Jahren schon oft "profitiert" und danach jedesmal den Eindruck gewonnen, daß sich ihre Geldbörse irgendwie leichter anfühlt.

Aber so darf man das eben nicht sehen: Investitionen in Europa sind Investitionen in die Zukunft. Damit es die Kinder einmal besser haben, auch wenn es nicht unbedingt die eigenen sind. Letzteren können wir später immerhin stolz erzählen, daß wir damals (also heute) dazu beigetragen haben, daß in Ungarn die Steuern so niedrig und die Straßen so glatt und so zahlreich sind, daß man dort so günstig investieren und produzieren kann. Die Nachgeborenen werden uns respektvoll lauschen und dankbar die Tütensuppe schlürfen, die sie sich von ihrem Hartz-Acht-Geld gegönnt haben.

Doch das ist Zukunftsmusik. Vorerst herrscht noch viel zu viel "Denken von Gestern", weiß Barroso. Die rückwärtsgewandten Menschen unserer Zeit nähmen nicht einmal die Demokratie der EU ernst, wo in Brüssel täglich 732 Abgeordnete aus 25 Ländern und 45 Parteien um ihre Sitzungsgelder ringen.

Daß Deutschland und seine ärmeren Nachbarn einst auf dem gleichen Niveau stehen werden, dafür ist schon viel getan worden - insbesondere durch die besonnene Zurückhaltung der Deutschen bei Investitionen im eigenen Land. Das möchten sich die Grünen jetzt nicht ausgerechnet von Verkehrsminister Stolpe kaputtmachen lassen. Der will, daß Planung und Bau einer Autobahn in Deutschland künftig statt 20 nur noch 14 Jahre dauern, damit ihre Errichtung einfacher wird. Dafür soll den Umweltverbänden die Möglichkeit genommen werden, jederzeit - auch noch während der Bauphase - Einspruch zu erheben und den Bau zu stoppen. Ja, selbst bedrohte Tierarten erst nachträglich auf das Gelände zu schaffen, um so den Beton aufzuhalten, will Stolpe verbieten. "Niemals" ruft Grünen-Verkehrsexperte Albert Schmidt. An der Rechtsprechung werde nichts geändert.

Die erlaubt es nämlich sogar, eine neue Straße mit Hilfe von Phantomtieren zu verhindern. Hamburg soll seit Jahrzehnten per Autobahn mit Stade verbunden werden. Mitten in der Planung jedoch war einem Umweltschützer so, als habe er etwas gehört, das sich so angehört habe, als könnte es die Stimme des "Wachtelkönigs" sein, eines bedrohten Vogels. Ob er es war, weiß keiner, Aufnahmen gibt es nicht, Bilder schon gar nicht, nicht einmal gute Montagen. Die aber brauchte auch niemand: Der "Wachtelkönig" wurde zum Symbol des Widerstands gegen blinde Zerstörung und "Wachstumswahn". Sie hören es an dem Wort: Das war die Zeit, als es Wachstum in Deutschland noch wirklich gab und nicht bloß als alljährliche Wahnvorstellung des Bundeswirtschaftsministers. Von der Autobahn existiert bis heute nur ein unfertiger Stummel. Und im Grunde können die Grünen sowieso beruhigt sein. Stolpe wäre nicht Stolpe, hätte er sein eigenes Vorhaben nicht längst selbst über den Haufen geworfen. Über die Mautpleite hat er genau die Milliarden versenkt, die für große Infrastrukturprojekte jetzt fehlen. Wer s halt kann, der kann s auch ohne den Wachtel.

"Dieser warme Regen wird dich erstmal wieder beruhigen!"
 
     
     
 
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