|
In düsterer Vorzeit kam die "Macht" vorzugsweise im Unteroffizierston durch die Tür gerauscht, baute sich vor den Bemächtigten auf und schnauzte sie an: Alles hört auf mein Kommando! Zack, Zack!
Ruppige Zeiten, die zum Glück vorbei sind.
Ob sie aus Sicht der Mächtigen besser waren, bleibt dahingestellt. Denn die alte Manier der Machtausübung brachte einen gravierenden Nachteil mit sich: Man konnte sie sehen und erkennen, worauf sie fußt. Macht war gekennzeichnet durch Abzeichen oder respekteinflößende Titel oder beides. Das erleichterte den Beherrschten den Widerstand erheblich.
Daraus haben die Mächtigen gelernt. Die Europäische Union beispielsweise ist ganz und gar ein Produkt modernster Machtausübung. Sehen kann sie eigentlich niemand und keiner weiß, wo ihre Macht endet und auf was sie sich überhaupt stützt. Die Macht der EU donnert nicht im Kasernenton durch die Stubentür, die fingert sich wie ein Schimmelpilz durch die feuchten Wände unserer maroden staatlichen Unabhängigkeit. Einmal im Zimmer, überzieht sie den ganzen Raum mit ihren muffigen Verordnungen, bis alles unter staubigem Pelz erstickt ist.
Abdichten hat bislang wenig bewirkt. Eine der hilflosen Maßnahmen war die Beschwörung des sogenannten "Subsidiaritätsprinzips". Ein Monstrum von einem Wort, das man dreimal aufsagen muß, um sich nicht zu verhaspeln. Es bedeutet, daß alles möglichst weit unten entschieden werden soll: Die EU entscheidet nur, was nicht genauso gut auf nationaler Ebene entschieden werden kann, der Bund nur das, was nicht besser die Länder machen könnten, und die nur das, was nicht besser in der Kompetenz von Kreisen und Kommunen verbleibt.
Achten Sie mal drauf: EU-Vertreter reden andauernd vom "Prinzip der Subsidiarität" und bekennen sich dazu, als sei es der Leitstern ihres Lebens. Sie versprechen das so oft, daß jeder, der schon ein wenig Erfahrung mit Politikern gesammelt hat, weiß: Wenn sie lügen, dann hier. Geradezu kunstvoll sind die Verrenkungen, mit welchen die EU jene "Subsidiarität" schachmatt setzt. Ein Winkelzug von grandioser Schönheit ist ihr beim Nichtraucherschutz gelungen.
Der ist in Deutschland eigentlich Ländersache, weil die Langzeiterfahrungen erwiesen hat, daß mecklenburgischer Kneipenqualm im Raum Baden-Württemberg zu keinen nachweisbaren Gesundheitsschäden geführt hat. Daher beschließen in Deutschland die Länder ganz unabhängig voneinander (und nicht einmal der Bund), wie der Schutz vor dem Luftschmutz in ihren Grenzen zu organisieren ist. Und das haben sie auch - freilich auf ganz unterschiedliche Weise - getan. Das Reizwort heißt "unterschiedlich", es löst bei der EU allergische Reaktionen aus. Eurokraten bekommen Ausschlag von der Vorstellung, daß auf Sizilien irgend etwas anders geregelt sein könnte als auf Hallig Gröde.
Ärgerlicherweise aber hinderte die EU-Aufseher eben jene "Subsidi..." - sie wissen schon - daran, durchzugreifen. Denn nach ihr ist der Schutz passivrauchender Gäste Angelegenheit der Nationalstaaten oder gar von Bundesländern.
Dann jedoch fanden die Eurokraten die Ritze im Mauerwerk: Arbeitsschutz, das ist EU-Sache. Also wird nun mit Hinweis auf passivrauchende Kneipiers und Kellner durchgedrückt, daß der Qualm ganz und gar zu verbannen sei. Dabei gibt Brüssel ganz offen zu, daß dies nur ein Trick ist, um den Schutz der Gäste in EU-Hand zu bekommen. So werden die deutschen Länder einfach überrumpelt, klatsch! Wenn die "Subsi..." die Tür versperrt, dann kommt man eben durch die Wand.
Das ließe sich doch wiederholen! Noch entscheidet beispielsweise jeder Europäer selbst, was auf seinen Teller kommt. Bis zu 493 Millionen unterschiedlich gefüllte Teller! Ein ernährungspolitischer Albtraum! Der EU sind da bislang die Hände gebunden, denn Kühlschrankfüllen ist derzeit noch Bürgersache. Jeder entscheidet, nach Gusto und Geldbeutel, ganz unkontrolliert, was er da hineintut. Aber könnte man nicht über die Steuerung des Agrarmarktes dafür sorgen, daß es nur noch das zu kaufen gibt, was die EU für zuträglich hält? Dann wäre der Weg frei für den euronormierten Ernährungsplan für jeden EU-Bürger. Sehen Sie? Man muß nur suchen, dann findet sich schon eine feuchte Stelle.
Alles ist nur zu unserem Besten, die EU will uns nicht bevormunden, ihr geht es darum, uns zu schützen. Deshalb spricht sie nur im seidigen Tonfall des fürsorglichen "Betreuers". Ein Wort aus der Krankenhaus- und Kinderheimsprache, das eine erstaunliche Karriere gemacht hat. Früher brachte uns der "Betreuer" die Bettpfanne oder schickte uns ins Bett, heute begegnet uns Betreuung in allen Lebensbereichen, im Bahnhof, auf dem Flughafen, auf der Bank, auf dem Amt, sogar in den Knästen wird "betreut".
Dabei klingt das Wort immer noch nach der gutmütigen Aufsicht über einen Hilflosen, dem man die Entscheidungen abnimmt; und es ist auch nach wie vor so gemeint. Wer sich der "Betreuung" aussetzt, hat zugestimmt, daß ein anderer über ihn entscheidet, weil der es besser weiß, oder wenigstens besser mit ihm meint als er selbst. Nur nennen moderne Aufseher die Bevormundung nicht mehr beim Namen, weil das unsere Entscheidung zur Unterordnung negativ beeinflussen könnte. Wer ginge nicht auf die Barrikaden gegen Bürgerbevormundung? Aber Bürgerbetreuung? Klingt kuschelweich, weich wie die Wiege eines dummen kleinen Säuglings. Wer legt sich da nicht gern hinein?
Im Zeitalter des Übergangs vom (mit Risiken behafteten) Bürgerrecht zum Betreuungsanspruch marschiert die EU mit ihrem Einfallsreichtum beim Aushebeln lästiger Beschränkungen ihrer Macht an der Spitze des Fortschritts.
Eines Tages werden wir uns an die nunmehr zu Ende gehende Epoche erinnern wie heute an das frühe Mittelalter: Eine Ära des Chaos, in der die Leute rauchten und aßen, wie sie wollten, einstellten, wen sie für geeignet hielten (Antidiskriminierungsverordnung), sagten, was sie dachten, und in souveränen Nationalstaaten lebten, in denen "Volksvertreter" gültige Gesetze erlassen konnten, statt daß die Kommissare das erledigten. Und vielleicht werden wir uns sogar ein bißchen ärgern, daß wir diese spannende Zeit haben sausen lassen.
Nun, es gibt da ja noch Kunst und Kultur, in denen sich Freiheit austoben kann. Na ja, stimmt auch nicht ganz. Zwar sitzen in den Theatern noch immer die tapferen Wölfe der Revolution, die um 1968 kristallisierte. Aber wie jedes Mineral, daß einmal seine Form gefunden hat und erhärtet ist, bröselt dort nur noch, was einst brodelte.
Die großen Bühnen, auch renommierte bildende Künstler kleben nämlich schon viel länger am süßen Leim der Betreuung als ihre Zuschauer in der gewöhnlichen Bürgerschaft. Der Staat, den viele von ihnen eigentlich bekämpfen, überführen oder wenigstens "kritisch begleiten" wollten, ermöglicht ihnen das Schauspiel erst durch seine üppigen Subventionen, auf die die gut betreuten Revolutionäre auch heftig pochen. So wandelten sie sich zu einem seltsamen Zwitterwesen, das mal jemand als "Revolutionslöwen mit der Sehnsucht nach Stallhaltung" verspottete.
Das schmerzt. Aber wo der Inhalt Makulatur ist, da legt man um so mehr Wert auf die steile Pose. Der Chef des "Berliner Ensembles", Claus Peymann, will den einstigen RAF-Terroristen Christian Klar als Bühnentechniker engagieren, wenn er rauskommt. Nicht ohne Witz: Der RAF-Mann wird dann von einem Theater bezahlt, das sich von dem Staat finanzieren läßt, den der Ex-Terrorist einst über den Haufen schießen wollte. Betreuung kann gnadenlos sein. Ihrer Macht entgeht nicht |
|