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Seit Jahrzehnten ist die Stimme von Ralph Giordano, am 20. März in Hamburg geboren und heute in Köln zu Hause, in unserer Öffentlichkeit zu vernehmen. Als 1945 nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur die Stunde der Freiheit auch für ihn schlug, verbündete er sich zuerst für zehn Jahre mit den Kommunisten und verließ diese 1956 aus Protest gegen den inzwischen auch ihm bekannt gewordenen Terrorismus von Josef Stalin . Er machte sich über den WDR mit über 100 Fernsehproduktionen einen Namen. Als kämpferischer Wächter unserer Demokratie in bewußt gepflegter antifaschistischer Tradition stellt er sich selbst dar. Sein Buch "Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein", 1987 zum ersten Mal erschienen, wurde 2000 im Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch neu aufgelegt. Zeitbedingt seien zwei Korrekturen notwendig gewesen, aber das Kapitel "Apropos ‚Charta der deutschen Heimatvertriebenen . Überfälliges Nachwort zu einem verkannten Dokument" wird, wohl nur zu gern, wiederholt.
Es ist dies eine absichtsvoll verzeichnete Darstellung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950. Ralph Gior- dano nennt sie "das am meisten verkannte Dokument der Nachkriegsgeschichte" und ist zugleich stolz darauf, endlich die richtige Lesart mit seiner Haßtirade geliefert zu haben. Was ihm fehlt in dieser Charta, ist das "mea culpa" eines jeden Deutschen, das Ja-Sagen zur Kollektivschuld des deutschen Volkes. Zitat: "Die ‚Charta der deutschen Heimatvertriebenen hat das Haken- kreuz so gründlich aus ihrem Text herausgekratzt, daß von ihm keine Spur mehr nachgeblieben ist. So gerät alles ins Vage, ins Unbestimmte und Vieldeutige ..."
Zwar gibt es gelegentlich auch ein Wort des Mitleids mit den Vertriebenen: "Es ist furchtbar, seine Heimat zu verlieren, niemand kann und wird das bestreiten ... Ganz gewiß hat bei der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten mit grausamen Begleiterscheinungen neben rationalem Kalkül auch Rache eine Rolle gespielt." Das aber, mit dem die Vertreibung begründet und verständlich gemacht wird, hat die Oberhand, ja es ist sogar ein Akt der Gnade gewesen, nur vertrieben zu haben: "Hätte, angesichts der ungeheuren Vorgeschichte der Vertreibung, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, nicht bedeuten müssen, daß kein einziger Deutscher aus polnischem oder sowjetischem Gewahrsam entkommen wäre? Dies hätte der Vernichtungspraxis während der deutschen Besetzung Osteuropas ent- sprochen, einer Praxis, der nur durch die militärische Niederlage Hitlerdeutschlands Einhalt geboten wurde! Dieser weiterführende Gedanke taucht in der ‚Charta überhaupt nicht auf." Das soll heißen, daß ein Auslöschen der Deutschen als Deutsche die angemessenere Form des Verhaltes seitens der Vertreiber gewesen wäre! Angesichts dieser möglichen, aber dann doch unterlassenen Konsequenz der Sieger von 1945 kann Ralph Giordano überhaupt kein Verständnis dafür aufbringen, daß es in der ‚Charta heißt: "Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung." Es hätte besser, ohne daß er selbst dies formuliert, wohl heißen sollen: "Wir Heimatvertriebenen sind dankbar dafür, daß wir nur vertrieben worden sind."
Aber auch die Vertreibung war notwendig: "Nach der nationalsozialistischen Vernichtungs-, Ausrottungs- und Eindeutschungspraxis war es keineswegs unverständlich, daß sich die Völker Osteuropas nach ihren "Erfahrungen mit deutschen Minderheiten im geschichtlichen Vorfeld der Besetzung dieser vollständig und für immer entledigen wollten". Gegenfrage: Seit wann waren die Deutschen in Schlesien, Pommern, Ostdeutschland eine Minderheit? Da in der Charta - es sei zitiert - "die ,andere Seite spricht, antifaschismusfremd, ohne nazigegnerischen Tenor", die Charta folglich als Dokument der "Unbußfertigkeit" bezeichnet werden muß, ist selbstverständlich die Politik, die von den Vertriebenenverbänden betrieben wird, nicht nur falsch, sondern gefährlich.
Die Vorsitzenden des Zentrums gegen Vertreibungen, Erika Steinbach und Professor Peter Glotz, haben in die Jury für den "Franz-Werfel-Menschenrechtspreis" nicht nur Dr. Otto von Habsburg und Lennart Meri, Estland, berufen, sondern neben Daniel Cohn-Bendit auch Ralph Giordano. Es darf, es muß gefragt werden, mit welcher Begründung dies geschehen ist. "Der Franz-Werfel-Preis", so heißt es in dessen Begründung, "zeigt, von welchem Geist das Zentrum gegen Vertreibungen getragen wird. Wir wollen die Ächtung der Vertreibung. Dies sehen wir als europäisches Projekt. Daß unsere Trauer und unser Mitgefühl auch den eigenen Vertreibungsopfern, den eigenen Toten gilt, ist selbstverständlich und kann niemanden wundern." Es muß einen jedoch wundern, daß jemand, der die Vertreibung der Deutschen rechtfertigt und die Charta der deutschen Heimatvertriebenen samt ihren Unterzeichnern sogar in ag-gressiver Absicht verhöhnt und diffamiert, jetzt in die Jury eines Menschenrechtspreises, hinter dem der Bund der Vertriebenen höchst persönlich steht, gewählt worden ist. |
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