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Europa hatte große Visionäre. "Wir Europäer sind Erbauer von Kathedralen," sagte de Gaulle vor gut 40 Jahren, "wir haben viel Zeit in diese Bauten investiert, aber wir haben es geschafft. Jetzt beginnen wir den Bau eines geeinten Europa. Ah, welch großartige Kathedrale!" Der General dürfte heute verwundert auf die Baukünste der Europäer herabschauen. Der Plan für die geistige Architekt ur, die Verfassung, ist recht mick-rig ausgefallen und außerdem umstritten, und für die Vollendung des Baus, die Erweiterung, gibt es offenbar nicht mehr viel Steine, sprich Geld. Da wundert es nicht, daß die vielen Bauherren sich streiten und aus dem Fundament nicht herauskommen. Das Erstaunlichste aber ist, daß sie bei allem Streit so tun, als gebe es genug und als könne der Bau der Kathedrale Europa weiter in den Himmel wachsen. Es herrscht Verwirrung auf dem Bauplatz. Baumeister Prodi und sein Kommissionsgefolge sind offenbar der Meinung, daß genug Geld da sei und es am besten in Brüssel anzulegen sei.
Die Staaten sollen sparen und gleichzeitig mehr nach Brüssel geben. Dafür zieht man sogar vor den Gerichtshof und klagt den Ministerrat an, weil der der Linie Frankreichs und Deutschlands zur Aufweichung des Stabilitätspaktes folgte. Nicht nur die deutsche Haushaltskommissarin Schreyer, sondern auch Agrarkommissar Fischler und der französische Regionalkommissar Barnes - keiner von ihnen ist für den Stabilitätspakt zuständig - unterstützen diese Ansicht Prodis. Dabei hatte Prodi im Herbst vergangenen Jahres noch die starren Regeln des Stabilitäts-paktes als dumm bezeichnet und sich für mehr Flexibilität ausgesprochen. Nun will er vor Gericht die Einhaltung der dummen Regeln durchsetzen. Wahrscheinlich ist Prodi und Co. mittlerweile aufgegangen, daß die Erweiterung der EU doch nicht zum Nulltarif zu haben ist. Jetzt will man einen Wachstumsfonds anlegen, in den die Gelder einfließen sollen, die von den Empfängerländern nicht in Anspruch genommen werden.
Von diesen Geldern profitierten bislang die Nettozahler, sie bekamen etwas zurück. Seit diese Nettozahler aber ihre Zahlungen nicht mehr erhöhen wollen, stellt Prodi sich stur und baut seine eigene kleine "Kapelle" am Rande des Bauplatzes. Für die Türken bastelt er sogar an einer kleinen Moschee. Auch Berlin und Paris haben begonnen, im Seitenschiff der "Kathedrale Europa" "nationale Kapellchen" anzulegen. Dabei sind die Pfeiler des Hauptschiffes noch lange nicht hochgezogen, geschweige denn das Dachgestühl gezimmert. Keine Verfassung, keine Klarheit in der Türkei-Frage, gerichtliches Gezerre um den Stabilitätspakt, Tricksereien mit den überschüssigen Geldern der Steuerzahler, Ungewißheit über die Rechnungen der Erweiterung - die Verwirrung in Europa wächst. Die Brüsseler Bauherren gleichen Robert Musils Mann ohne Eigenschaften, der begeistert ausrief: "Wir irren vorwärts!"
So wird das nichts mit der Kathedrale. Prodi hat seine Kommission nicht mehr im Griff, seine Gedanken beschäftigen sich schon zu offensichtlich mit seiner eigenen Zukunft und der italienischen Innenpolitik. Es ist Zeit für neue klarsichtige Visionäre für Europa. Starkes soziales Gefälle: Eine mehrköpfige Romafamilie vor ihrer Hütte mit Wellblechdach in Jarovnice im Osten der Slowakischen Republik. An die 2.200 Menschen leben in dem größten Slum der Roma in der Slowakei. Dort gibt es weder fließendes Wasser noch wetterfeste Häuser. Die Arbeitslosenquote liegt zwischen 95 und 100 Prozent.
Mit dem EU-Beitritt der Slowakei fällt auch das Schicksal dieser Menschen offiziell in den Verantwortungsbereich der EU. Ihre Lebensbedingungen zu verbessern kostet viel Geld, doch woher es kommen soll, weiß bisher niemand so recht. |
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