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Gemeinsames europäisches Haus

 
     
 
Eine Schülergruppe des Pädagogischen Lyzeums aus Königsberg weilte kürzlich im hessischen Alsfeld. Das Albert-Schweitzer-Gymnasium ist seit einigen Jahren Partnerschule.

Das Interesse an dem jährlich stattfindenden Schüleraustausch ist auf beiden Seiten groß, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. "Das Konzept des Schüleraustausches sieht vor", so der stellvertretende Schulleiter Lev Guorwitsch, "Land und Leute in Deutschland kennenzulernen. Wir wollen unseren russischen Schülern Einblick gewähren in das Leben einer deutschen Familie." Hauptgrund für den Schüleraustausch ist, daß Deutsch mit Schwergewicht als erste Fremdsprache gelehrt wird. Deshalb nahmen die russischen Gastschüler täglich am Regelunterricht der 11. Klasse teil. Es gab auch spezielle Angebote: Die Schulleiterin, Oberstudiendirektorin Elisabeth Hillebrand, gab eine Einführung in das politische System der Bundesrepublik Deutschland
, und die Sozialkundelehrerin Felicitas Zierk machte mit Problemen der deutschen Jugendlichen vertraut.

Höhepunkt war jedoch eine Autorenlesung mit der Schriftstellerin Gudrun Pausewang. Als Verfasserin von Jugendbüchern konnte sie die russischen Schülerinnen und Schüler begeistern. Sie gab Kostproben aus ihren Bestsellern "Die Wolke" und "Die letzten Kinder von Schevenborn". Speziell für die Gäste hatte sie die Kurzgeschichte "Heim nach Hamburg" ausgewählt, die in ihrer sudetendeutschen Heimat, dem Riesengebirge, in der Kriegszeit beginnt. Die letzte Geschichte war zum Schmunzeln. "Die Geburtstagsanzeige" bot den russischen Schülern die Möglichkeit zum Gespräch.

Die Bedeutung des Schüleraustausches wurde für die Öffentlichkeit deutlich, als Bürgermeister Diestelmann die russische Schülergruppe im Rathaus begrüßte. In seiner Ansprache kündigte er an, daß er im Mai Königsberg und das Pädagogische Lyzeum besuchen werde.

Eine ganztägige Exkursion nach Marburg, dessen Universität prominente Russen in der Vergangenheit häufig besuchten, rundete das offizielle Programm ab. Über den Deutschen Orden wurde die Verbindung zwischen Marburg und Königsberg hergestellt. Die Führung im Schloß war Anlaß, die historischen Anfänge Hessens darzulegen.

In einem Vortrag vor deutschen Schülern berichtete der stellvertretende Direktor des Lyzeums über das heutige Königsberg, das im Zweiten Weltkrieg total zerstört worden sei. Durch den Neuaufbau nach dem Krieg erkenne man nur noch an wenigen Straßen und Gassen, daß die Stadt seit über 700 Jahren existiere. Zur gegenwärtigen Situation führte er aus: "Rußland ist ein europäisches Land, das sich derzeit mit Schwierigkeiten in der Marktwirtschaft integriert. Ich bitte unsere europäischen Nachbarn um Geduld."

Für die Albert-Schweitzer-Schule in Alsfeld hat der Schüleraustausch zentrale Bedeutung. Neben England und Frankreich sind es Städte in Westpreußen und in der Zips, mit denen die Begegnung der Jugendlichen stattfindet. Deswegen wird man im Mai in Königsberg und auf der Kurischen Nehrung ein Europaprojekt starten, an dem sich auch das Aitvaro-Gymnasium aus Memel beteiligen wird. Unter dem zentralen Thema "Europäisches Kulturerbe: Königsberg und Ostdeutschland in der Literatur" sollen Texte literarhistorisch bis zur Gegenwartsliteratur erarbeitet werden. Auf russischen und litauischen Wunsch werden es folgende Autoren sein: Simon Dach – Ernst Wiechert – Agnes Miegel – E.T.A. Hoffmann. Der Beitrag der Alsfelder Schüler befaßt sich mit Siegfried Lenz, speziell mit seinem Werk "Die Deutschstunde". Als pädagogisches Ziel wird angestrebt: "Unser gemeinsames europäisches Haus. Schüler dreier Völker arbeiten an einem gemeinsamen Projekt." Das Medium ist die deutsche Sprache. W. Haupt

 
     
     
 
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