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Hohe, zarte, rot oder lila blühende Kornraden, Schwester der Nelken betupften bunt über Jahrtausende neben Klatsch-mohn, hübschen blauen Kornblumen, gelben Saat-Wucherblumen, Feld-Löwenmäulchen und Wildem Rittersporn die Getreidefelder und Äcker unserer Heimat. Unsere Großeltern haben dieses schöne Bild noch vor Augen, wenn sie zurückdenken an ihre Jugendzeit. Wir Heutigen sehen das Getreidekorn Halm an Halm in monotonem Grün oder strohblond auf den Feldern reifen, bis die Mähdrescher die Ernte sichern. Strohrollen bleiben, zu Rollen gepreßt und manchmal in Folien verpackt , noch lange liegen.
Die Bauern konnten endlich das oft verfluchte "Unkraut" vom Acker vertreiben, Klatschmohn und Kornblumen dürfen - nun meistens aus Seide oder Wachspapier - noch den Erntekranz zieren.
Aber die Kornrade wurde dreimal verflucht, und das nicht nur, weil sie Platz auf dem Feld beanspruchte, auf dem Weizen, Roggen, Hafer, Gerste wachsen sollte. Aus der Überlieferung wußten der Sohn vom Vater, die Tochter von der Mutter, daß die Kornrade krank macht. Dem Vieh verging die Lust am Fressen, wenn zuviel Kornrade im Futter war, die Pferde lahmten, auch Rinder bekamen Koliken und Schweine Durchfall. Nur Hühner, Gänse und Enten vertrugen das aus verdorbenem Schrot gemischte Futter und Brot, das aus grauem oder bläulichem Mehl gebacken worden war. Viel zu viele feine, dunk-le Samen der Kornrade waren mit dem Korn vermahlen worden. Sie enthalten die hochwirksamen Giftstoffe Githagin, Aglucon Githagenin und Agrostemmasäure und bewirkten Schleimhautreizungen, Übelkeit, Benommenheit, Krämpfe, Atemlähmung, Schock. Das Gift konnte die roten Blutkörperchen verändern und zum Tode führen.
Die Samen der im fruchtbaren Gebiet um das östliche Mittelmeergebiet beheimateten, reich blühenden Giftpflanze waren einst mit der begehrten Handelsware Weizen nach Europa gekommen. Hier wurden sie zusammen mit dem Saatgetreide ausgestreut. Die Pflanze konnte sich alle Erdteile erobern. Lange versuchte man vergeblich, sie zu bekämpfen. Erst durch die gestrafften Rhythmen der Bodenbearbeitung, die breite Anwendung chemischer "Pflanzenschutzmittel" und vor allem durch die verbesserte Reinigung des Saat-, Brot- und Futtergetreides wurden die giftige Kornrade und andere sogenannte "Unkräuter" von Feldern und Äckern vertrieben. Endlich verschwand auch die Angst vor Krankheiten und Schäden, die sie bewirkten.
Inzwischen aber wissen die Bauern, daß durch das Ausrotten ungeliebter Pflanzen auch Kleintieren, Insekten, Vögeln und in der Symbiose des Aufeinander-angewiesen-Seins sogar einigen Säugetieren der Lebensraum geschmälert wurde. Manche Landwirte folgen bereits dem Aufruf der Naturschützer. Sie mischen für die Feld-ränder an Wegen und Straßen nun Klatschmohn- und Kornblumensamen unter die Getreidesaat. Darüber freuen sich die Städter, wenn sie als Urlauber Erholung auf dem Lande suchen.
An den Hängen neben den Autobahnen, an Wegrändern, Bahnstrecken und auf Schutthalden dürfe auch die Kornrade wachsen, und da die Bauern nun diese Giftpflanze beherrschen können, akzeptieren sie, daß auch sie kein "Unkraut", sondern ein "Beikraut" ist, das selbst ihren Garten als hübsche Blume zieren kann.
Im vorletzten Frühjahr fand ich im Samenregal eines Supermarktes ein Tütchen Kornradensaat und säte es in meinem Garten aus. Im Mai steckte ich einigen Pflanzen, die bereits 80 cm hoch gewachsen waren und zahlreiche schmale, lanzettige Blätter an den Seitentrieben zeigten, Stützhilfen bei. Im Juni und Juli erfreuten mich die vielen karmesinroten, auch violetten Blüten und die vielen Falter und Bienen, die sie anlockten. Fünf leuchtende Blütenblätter, gleichmäßig um den dunklen Stempel in ihrer Mitte drapiert, wiesen mit dunklen Streifen auf weißem Grund ihren Gästen deutlich den Weg zur gastlichen Nektarquelle. In manchem Sommerstrauß, den ich verschenkte, wurden die zarten Blüten bewundert, denn auch meine Freundinnen kannten keine Kornraden mehr. Im nächsten Sommer erschienen diese einstmals eingewanderten robusten Pflanzen ohne mein Zutun wieder im Blumenbeet. Sie haben ihre Lebenskraft bewiesen.
Da die Kornrade aber in der freien Natur kaum noch zu finden ist, hat Loki Schmidt als Gründerin der Stiftung Naturschutz sie zur Blume des Jahres 2003 gekürt. Diese robuste "Zugereiste", seit der letzten Eiszeit vor etwa 6000 Jahren in Europa heimisch, steht symbolisch für alle vom Aussterben bedrohten Pflanzen auf der "Roten Liste" und verdient unsere Aufmerksamkeit. |
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