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Gorbatschow las Bonn die Leviten

 
     
 
Gorbatschow las Bonn die Leviten
Die Beibehaltung der SBZ-Enteignungen war keine Vorbedingung der Einheit
Konrad Rost-Gaudenz

In Bonner Regierungskreisen mag es in einigen Ohren schrill geklingelt haben, als der ehemalige Kreml-Chef Michail Gorbatschow dieser Tage klar und deutlich zum Ausdruck brachte: Die einstige Sowjetunion hat bei ihrer Zustimmung zur Wiedervereinigung das Festhalten an der Bodenreform
von 1945 bis 1949 in Mitteldeutschland nicht zu einer Vorbedingung gemacht. Wörtlich sagte Gorbatschow bei einer Festveranstaltung des "Göttinger Kreises – Studenten für den Rechtsstaat" im Berliner Internationalen Congress Centrum (ICC) vor annähernd 2000 Zuhörern: "Die Frage wurde von den Deutschen entschieden. Es hat keinerlei Geheimverträge gegeben."

Bislang ist allerdings immer wieder von einer derartigen Vorbedingung die Rede gewesen. Im Einigungsvertrag heißt es denn auch, daß Alteigentümer in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone (der späteren DDR) ihren Grund und Boden nicht zurückerhalten könnten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Meinung angeschlossen. Demgegenüber hob Gorbatschow in seiner Rede zum Thema "Die Sowjetunion und die Deutsche Einheit" nachdrücklich hervor: "Es gab nie einen derartigen Beschluß des Politbüros. Dafür genügt ein Blick in die Archive, sie sind offen." Außer diesem Paukenschlag wußte der eloquente und auf liebenswerte Werbewirksamkeit bedachte frühere Kreml-Herr in seinem Überblick zur Wiedergewinnung der Einheit von West- und Mitteldeutschland allerdings wenig wirklich Neues zu sagen.

Umso mehr jedoch machte er deutlich, daß die Zerreißung Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht hauptsächlich auf die Sowjetunion, sondern insbesondere auf England und auf die USA zurückgehe. Immerhin sei es Franklin D. Roosevelt gewesen, der die Forderung nach Aufhebung der Deutschen Nation erhoben habe. Zu den von der Sowjetunion annektierten und unter Satelliten verteilten deutschen Ostgebieten schwieg sich Gorbatschow aus und räumte, gewissermaßen als Trostpflaster, nur ein, daß der "Einheitsgedanke nie erloschen" sei.

Weitaus versöhnlicher stimmte sodann seine Einsicht, daß es "keine ewige Verdammung" einer Nation für die von anderen begangenen Verbrechen geben dürfe. Die wahren Helden des Wiedervereinigungsprozesses seien das ehemalige sowjetische Volk, das sich positiv verhalten habe, und eben die Deutschen, meinte Gorbatschow mit einer aus seinen Worten herauszuhörenden Kritik, daß Bonn bei diesem Prozeß nicht ohne Zögerlichkeit gewesen sei.

Der ehemalige Kreml-Chef geizte nicht mit einem Plädoyer für die, wie er sie nannte, "Vereinigten Staaten von Europa", in denen vor allem die freundschaftlichen Beziehungen der "beiden großen Nationen Rußland und Deutschland" eine bedeutende Rolle zu spielen hätten. Nach allen Tragödien mit Rußland werde das "neue" Deutschland nur noch eine positive und konstruktive Rolle spielen. "Genau dabei stimmen unsere Interessen überein", konstatierte Gorbatschow.

Ob diese Interessenübereinstimmung in Bonn auch erkannt wird, erscheint in vielen Dingen doch recht fraglich. So hat beispielsweise der Sprecher des FDP-geführten Auswärtigen Amtes, Martin Erdmann, jetzt den Vorschlag des einflußreichen russischen Generals N. P. Klokotow, eine starke wirtschaftliche und politische Achse zwischen Berlin und Moskau zu schaffen und im Gegenzug Ostdeutschland an die Deutschen zurückzugeben (Das berichtete), kurzerhand als "abstruse Polit-Phantastereien" abgetan. Eine weitere Stellungnahme erübrige sich daher, meinte Erdmann lapidar.

Wie sagte doch Michail Gorbatschow in seiner Berliner Rede zur Wiedervereinigung: "Die Deutschen sollten selbst entscheiden."

 
 
     
     
 
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